Fahrbericht BMW M5 G90: Das Monster mit dem grünen Kern

BMW M5, Fahrberichte | 25.10.2024 von 1

Nie zuvor blies einem neuen BMW M5 bei seiner Vorstellung derart viel rauer Wind entgegen wie der Generation G90: 727 PS hin oder her, das …

Nie zuvor blies einem neuen BMW M5 bei seiner Vorstellung derart viel rauer Wind entgegen wie der Generation G90: 727 PS hin oder her, das Leergewicht von rund 2,5 Tonnen steht bleischwer im Datenblatt und macht es Kritikern kinderleicht, den Plug-in-Hybrid an den Pranger zu stellen. Und das keinesfalls ohne Grund: Man muss kein Doktor der Physik sein um zu wissen, dass Masse träge und jedes zusätzliche Kilogramm von Nachteil ist, wenn man ein möglichst agiles und sportliches Fahrzeug auf die Räder stellen will. Wer im Vergleich zum Vorgänger gleich 450 zusätzliche Kilogramm auf die Waage packt, darf sich über Gegenwind also nicht wundern – und wie uns M-Chef Frank van Meel im Interview versichert hat, kam das initiale Feedback auch keinesfalls überraschend.

Wie viel von der grauen Theorie in der mattschwarzen Praxis übrig bleibt, durften wir für einen ersten Fahrbericht am Steuer eines BMW M5 (G90) in Frozen Black erfahren. Dabei macht schon der Druck auf den roten Startknopf klar, dass Generation 7 nach anderen Regeln als ihre sechs Vorgänger mit sechs, acht oder sogar zehn Zylindern spielt: Hier brüllt kein mächtiger Verbrenner, der die ganze Karosserie zum Beben bringt und nachts die Nachbarn weckt – stattdessen nichts als Stille und etwas Melodie aus den Lautsprechern. Wer das Getriebe auf D stellt und den Fuß von der Bremse nimmt, rollt wie mit einem Elektroauto völlig lautlos aus der Parklücke. "

Nüchtern betrachtet ist der neue BMW M5 mit 197 PS und 280 Newtonmeter Drehmoment auch im Elektro-Modus völlig ausreichend motorisiert, aber in diesem Fall ist der Elektroantrieb nicht mehr als ein Vorspiel: Am Steuer eines M5 ist zumindest heute noch klar, dass es mehr als nur einen elektrischen Antrieb geben muss – und wer das Gaspedal am Ortsausgang etwas fester drückt, wird endlich auch vom warmen Klang eines erwachenden Achtzylinders verwöhnt.

Sobald er läuft, prägt der V8-Biturbo nicht nur das akustische Erlebnis an Bord des G90. Mit ihm erwacht jene Seite des BMW M5 zum Leben, für die Kunden die ersten sechs Generationen geliebt haben: Aus der vermeintlich braven Business-Limousine wird ein aggressives Raubtier, das jederzeit zum Sprung bereit ist und endlich auf die Jagd gehen will.

Schon bevor der V8 seine Betriebstemperatur erreicht hat, verlangt der neue BMW M5 auf stellenweise leicht feuchten bayerischen Landstraßen nach einem anderen Umgang als bei unserer Vorab-Testfahrt auf dem Salzburgring: Bei jeder etwas engeren Kurve macht sich im Hinterkopf das Wissen um das hohe Gewicht bemerkbar – und mahnt dazu, es lieber doch etwas ruhiger angehen zu lassen.

Doch der M5 zeigt in jeder Kurve, dass er gerne schneller würde: Das Einlenken der Limousine ist fast schon eine Spur zu aggressiv und erfordert zunächst etwas Gewöhnung, wenn man nicht während der Kurve korrigieren will. Mit jeder weiteren Kurve gewöhnt man sich weiter an die Abstimmung, die dem G90 natürlich nicht die Agilität eines Leichtbau-Sportwagens beschert, aber die mit Blick auf das hohe Gewicht doch etwas überraschend kommt.

Hier zeigt sich, dass die zusätzlichen Kilos in vielen Fällen gut investiert sind: Mehr als 50 Kilogramm des Gewichts gehen auf das Konto zusätzlicher Versteifungen und natürlich tragen auch Hightech-Features wie die Hinterachslenkung nicht zur Gewichtsreduzierung bei. Das Ergebnis ist eine extrem steife Karosserie, die sich nach etwas Eingewöhnung erstaunlich präzise und vor allem auch extrem schnell durch Kurven dirigieren lässt. Dass man für ein ähnliches starkes Vertrauen ins fahrdynamische Potenzial ein paar Kurven mehr als bei den leichteren Vorgängern benötigt, dürfte für die Kunden eine untergeordnete Rolle spielen.

Wenn der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hat und man das Gaspedal erstmals voll durchdrückt, ist endgültig Schluss mit lustig: Auf feuchtem Asphalt genügen selbst vier angetriebene Räder nicht, um die Kraft des Hybrid-Antriebs sauber auf die Straße zu bringen. Richtig gelesen: Trotz Allradantrieb sind dem neuen BMW M5 Traktionsprobleme nicht wirklich fremd, bei spontanem Vollgas suchen für einen Moment alle vier Räder hörbar nach Halt – und das auch im regulären, auf bestmögliche Traktion ausgelegten Allrad-Modus 4WD.

Wer sich austoben will, kann über das M Setup noch einen ganzen Blumenstrauß von Stellschrauben nachjustieren: Durch Wahl des Allrad-Modus 4WD Sport wird die Kraftverteilung deutlich hecklastiger, was den M5 in Verbindung mit dem DSC Traktions-Modus MDM auf Knopfdruck zur veritablen, aber stets gut kontrollierbaren Drift-Maschine macht – und wer es noch wilder mag, kann DSC auch komplett deaktivieren und die geballte Kraft von 727 PS und 1.000 Newtonmeter im 2WD-Modus allein an die Hinterachse schicken. Dass dann auch die breitesten Reifen kapitulieren und nach einem ebenso wachen wie reaktionsschnellen Fahrer verlangen, sollte jedem G90-Fahrer klar sein.

Dass man in einem Plug-in-Hybrid sitzt, zeigt sich auch im M Setup-Menü: Neben Fahrwerk, Lenkung, Bremse, Getriebe & Co. kann hier auch die Aggressivität der Rekuperation in drei Stufen eingestellt werden. Angesichts der Vielzahl an Einstellungen ist es auch beim neuen BMW M5 sehr praktisch, dass sich zwei bevorzugte Setup-Kombinationen speichern und jederzeit über die M1- und M2-Knöpfe am Lenkrad abrufen lassen. In den Einstellungen finden sich noch weitere Hybrid-spezifische Optionen, darunter das rein elektrische Fahren oder ein Modus zum Halten eines bestimmten Ladestands.

Wer gerade nicht erkunden will, ob sich die offiziell bis zu 69 Kilometer Elektro-Reichweite und damit der beinahe absurd-niedrige Normverbrauch von 1,6 bis 1,7 Liter auf 100 Kilometer auch in der Praxis realisieren lassen, hat mit dem V8-Biturbo eine erstklassige Ablenkung an Bord: Während Verbrenner und E-Maschine bei vielen Plug-in-Hybriden eine ähnlich wichtige Rolle spielen und erst gemeinsam wirklich Druck erzeugen, liegt der subjektive Schwerpunkt im Fall des BMW M5 ganz unstrittig auf dem Achtzylinder.

Mit 585 PS ist er kaum schwächer als im Vorgänger und auch wenn die knapp 200 PS starke E-Maschine bei spontanen Vollgas-Wünschen noch schneller anspricht, wird sie von der Kraft des Achtzylinders mühelos zum Hilfsmotor degradiert: Der S68 spielt nicht nur akustisch die erste Geige, er spielt auch für die erlebbare Kraftentfaltung die unumstrittene Hauptrolle und lässt die Kraft des Elektromotors verblassen. Dabei begeistert er mit unverwechselbarem Achtzylinder-Sound und hoher Drehfreude.

Wenn es wirklich zählt, beschleunigt der neue BMW M5 in 2,2 Sekunden von 80 auf 120 km/h und schlägt damit selbst den M5 CS der Vorgänger-Generation – kaum zu glauben, dass die beiden Motoren in solchen Momenten rund 2,5 Tonnen nach vorn katapultieren. Der Modus für maximale Beschleunigung ist dabei ab sofort noch einfacher erreichbar: Wird das linke Paddle am Lenkrad für eine Sekunde gezogen, wechselt der M5 in den Boost Mode und schaltet alle Systeme auf Angriff. Wirklich erforderlich ist diese Maßnahme freilich nie, denn der G90 hat auch ohne Boost-Mode jederzeit mehr als genug Reserven in der Hinterhand.

All jene, die im neuen M5 einen typischen Hybriden sehen, kann also nur eine Probefahrt und damit das Aufbauen eines eigenen Bilds empfohlen werden: Wer nur einen Blick ins Datenblatt wirft, kann die Leistungsfähigkeit des Gesamtpakets einfach nicht erfassen. Denn in der Praxis ist die komplexe Technik des G90 nicht weniger als die Lebensversicherung für die V8-Limousine alter Prägung: Um über den gesamten Lebenszyklus auf allen wichtigen Märkten angeboten werden zu können, war die Hybridisierung schlicht unvermeidlich.

Wer diesen Umstand akzeptiert, kann im neuen BMW M5 kaum etwas anderes als die im Kontext der Zeit beste Lösung sehen: Er beherrscht die typischen Jobs einer hochdynamischen Business-Limousine ebenso überzeugend wie sein Vorgänger und ist dabei in den meisten alltagsrelevanten Situationen sogar noch einen Tick schneller, gleichzeitig gewinnt er als Teilzeit-Elektroauto einige völlig neue Fähigkeiten hinzu. Dass er zudem die jüngsten Entwicklungen in Sachen Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme vom neuen 5er (G60) übernimmt und beispielsweise auch per Smartphone-Fernsteuerung geparkt werden kann, zählt sicher nicht zu den wesentlichen Kaufgründen für einen M5 – ist aber sicher auch kein Nachteil.

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