In München ist es nicht immer leicht, mit einem Rolls-Royce aufzufallen – zumindest nicht im Münchner Süden, auf der Maximilianstraße oder in Bogenhausen. Gerade die vermeintlichen Einsteigermodelle Ghost, Wraith oder Dawn sorgen hier kaum dafür, dass jemand von seinem Lastenfahrrad zur Seite blickt. Bei einem Phantom sieht das schon anders aus. Der ist selten, trotz seines grandiosen Unterstatements einzigartig auffällig und lässt das Publikum ohne besonderes Zutun von Königshäusern und Megastars träumen. Im Neuwagenzustand kostete das Chauffeurmodell der Schönsten und Reichsten schnell eine halbe Million Euro – oder je nach Individualisierung auch deutlich mehr.
Dass der hier gefahrene Rolls-Royce Phantom VII bereits 20 Jahre auf dem Buckel hat, sieht man ihm weder in Sachen Design noch Zustand an. Und wer sich so einen britisch-bayrischen Traum auf mächtigen 21-Zöllern in die eigene Auffahrt holen will, der wird bereits ab rund 100.000 Euro fündig – zumeist bestens gepflegt mit überschaubaren Laufleistungen und einer lückenlosen Servicehistorie. Nicht viel Geld für 5,83 Meter langen Automobilluxus ohne irdische Grenzen.
Der geneigte Kunde saß im Fond hinten rechts, schmiegte sich in griffiges Leder und versteckte seine Füße in endlos tiefen Langfloor-Fußmatten, in denen sich selbst kleinere Katzen erfolgreich verstecken könnten. Doch was ist, wenn der ebenso geneigte wie wohl betuchte Gebrauchtwagenkunde selbst einmal ins dünne Lederlenkrad greifen mag? Was kann einer wie der siebte Phantom seiner Art, Ende der 1990er aufwendig und ohne große Kostenlimits von einem weißen Blatt Papier entstanden, auf der Langstrecke und besonders im Alltag? Drei Tage, mehr als 1.500 Kilometer und eine abwechslungsreiche Route von München über Berlin nach Hamburg, weiter nach Kopenhagen ins skandinavische Luxusseebad Bastad sollen zeigen, was diese Ikone aus dem Jahre 2003 wirklich drauf hat. Ist das nur einer zum Scheinen oder kann er auch wirklich glänzen?
Die Fahrt mit Startpunkt im Münchner Norden ist wenig anheimelnd. Es regnet Bindfäden und so nimmt der 460 PS starke, 6,75 Liter große V12 die ersten Kilometer in der City und dann nördlich auf der A9 mit eifrig arbeitenden Scheibenwischern auf. Das Platzangebot ist gigantisch, die belederten Komfortsessel (aus 18 makellosen Tierhäuten entstanden) zeigen einem bereits lange vor Nürnberg, dass man diese Tour auch an einem Stück fahren könnte, während der Zwölfzylinder so dezent im Hintergrund schnurrt, dass man meint, im einem Elektroauto zu sitzen. Eine Dreiviertelstunde vor Berlin der erste, etwas vorauseilende Tankstopp. Der Verbrauch ist von 22,5 auf knapp über 17 Liter pro 100 Kilometer geschrumpft – trotz flotten Galopps. Da kann man angesichts von Fahrzeugdimensionen, bewegter 2,6 Tonnen Masse und Rahmenbedingungen kaum meckern.
Rolls-Royce wird nicht müde, immer wieder die Historie zu bemühen, wenn es um Zitate, Technologien oder Anspruch der Marke selbst geht. Doch wer beeindruckt sein will, muss nicht Zitate wie “whatever is rightly done, however humble, is noble“ von Sir Henry Royce oder “strive for perfection in everything you do. Take the best that exists and make it better. When it does not exist, design it” bemühen. Der rund 20-jährige Phantom ist beeindruckend und spektakulär, ohne einem den Atem zu rauben und die Geschichten aus der Frühzeit des Automobilismus können viele längst nicht mehr hören, ohne in einen komatösen Schlaf der ewig gestrigen zu fallen.
Das Risko dürfte beim Zwischenstopp in Potsdam, dem kleinen Abstecher zur Pfaueninsel oder an den Ku‘Damm zur Curry 195 ebenso wenig bestehen wie tags darauf, als es morgens weiter Richtung Hamburg geht. Es gießt erneut in Strömen und so fällt es leichter denn je, einen weiten Bogen um Hamburg zu machen und frühzeitig von der A24 Richtung Norden auf die Bundestraßen 404 / 205 abzufahren. Der Zwischenstopp in Bad Segeberg ruft einem ins kindliche Gedächtnis zurück, dass hier neben Tankstellen und Supermärkten die Winnetou-Festspiele ihren festen Platz im Jahreskalender haben. Zurück auf der Autobahn A7 macht der bis zu 240 km/h schnelle Youngtimer zügig Kilometer und verwöhnt seine Insassen nicht nur mit seinem grandiosen Reisekomfort und interessierten Blicken der Umgebung, sondern auch stattlichen 720 Newtonmeter Drehmoment, die ab 3.500 U/min anliegen und die imposante Kühlerfront sich bei jedem Überholgang imposant in den Fahrtwind stemmen lassen.
Man kann trefflich darüber streiten, ob der seinerzeit nach vorne aus der Mittelarmlehne ausklappbare Dreh-Drück-Steller aus dem Hause BMW ein großer Wurf war, die Ablagen ausreichten und die Bedienung einiger Funktionen sich nicht allzu sehr der Markenhistorie verschrieb. Klimaautomatik, Sitzheizung oder andere Fahrfunktionen würden die Insassen nur allzu gerne derart intuitiv wie in einem BMW der damaligen Zeit bedienen. Rolls-Royce wollte seinen eigenen Weg gehen und tut dies bis heute – oftmals zum gemäßigten Ärger der Kunden. Das gilt nicht für den Praxisverbrauch, der sich bei 15,3 Litern Super auf 100 Kilometern einpendelte.
Die überaus flotte Gangart des V12-Kolosses hat jenseits der dänischen Grenze ein jähes Ende und die Tachonadel dreht sich mit Übertritt weit weniger engagiert als die Fahrstunde zuvor. Die Aufmerksamkeit, die der ab 2003 angebotene Rolls-Royce Phantom VII hier auf Straßen, Parkplätzen und an Tankstellen genießt, ist gefühlt nochmals nennenswert größer als in Deutschland. Über die E45 geht es schließlich südostwärts, über Odense und Ringsted bis nach Kopenhagen. Hier, in der fahrradfreundlichen dänischen Hauptstadt, geht es in der Innenstadt nicht nur in der Hotelparkgarage eng zu. Der mächtige Rolls-Royce belegt wie schon nahe Potsdam ohnehin zwei Parkplätze hintereinander, um zur Ruhe zu kommen.
Am nächsten Morgen folgt die finale Etappe, über die knapp acht Kilometer lange Öresundbrücke, vorbei an Malmö und dem Fährhafen von Helsingborg bis nach Bastad, wo sich die wohlbetuchte Gesellschaft von Göteborg im Sommer nicht nur zu Tennisturnier oder Musikfestival einfindet und auch die königliche Familie am Wochenende nur allzu gerne einen Abstecher macht. Dies bisweilen in gepanzerten Luxuslimousinen neuer Bauart, die nicht jenen Komfort wie ein 20 Jahre alter Phantom VII bieten und nicht derart auffallen, wenn es in die sehenswerten Gärten von Norrvikens Trädgardar geht. Hier spielen nur einmal im Jahr nicht Apfelbäume und Blumen oder das Gedenken an Gründer Rudolf Abelin die Hauptrolle: Beim großen Concours dreht sich alles um Sportwagen und Oldtimer von gestern und heute – wie den Rolls-Royce Phantom VII.
(Fotos & Text: Stefan Grundhoff; press-inform)