Die Automessen in China erinnern einen an die guten alten Zeiten, als IAA, Genfer Salon und Detroit Motorshow noch internationale Relevanz hatten. Die Auto China in Peking bringt überfüllte Hallen, zahllose Neuheiten und zwei Trends, die viele schon abgeschrieben hatten: Hybride und Vans. Die BMW Group hatte auf der größten Automesse des Jahres mit dem überarbeiteten BMW i4 und dem neuen MINI Aceman zwar zwei Weltpremieren, aber keine Überraschungen im Programm.
Im vergangenen Jahr hatte die Shanghai Motorshow gerade in Europa für jede Menge Aufsehen gesorgt. Die chinesischen Heimspieler hatten die erfolgsverwöhnten Marken aus der alten Welt mit einem nie dagewesenen Feuerwerk an Neuheiten überfallen und so eindrucksvoll gezeigt, wer im Reich der Mitte auf vier Rädern zukünftig das Sagen hat. Diesmal waren gerade die deutschen Hersteller besser vorbereitet, denn so etwas wie im Vorjahr sollte nicht noch einmal passieren. Trotzdem war die Anspannung bei vielen Verantwortlichen von Volkswagen, BMW, Audi oder Mercedes zu spüren – zu groß ist Schlagzahl der chinesischen Hersteller auf dem gigantischen Heimatmarkt und zu wichtig der seit langem größte Autohandelsplatz der Welt für Absatz und Ertrag aller.
Wirklich verändert haben sich weder die Rahmenbedingungen noch die Situation für die europäische Hersteller. Zugegeben präsentiert Audi in China erstmals seinen so wichtigen Q6 L Etron in der chinesischen Langversion, Mercedes zieht das Tuch von seiner elektrischen G-Klasse und BMW zeigt neben dem dezent aufgefrischten i4 mit der neuen Klasse einen Ausblick auf den kommenden i3 als Nachfolger des 3ers. Größer ist da aber schon der Neuigkeitswert beim neuen Mini Aceman, der rein elektrisch zwischen Cooper und Countryman positioniert ist.
Doch wirkliche Reißer als echte Neuheiten suchen die meisten Besucher bei den europäischen Marken auf der wichtigsten Automesse des Jahres vergeblich. Lamborghini präsentiert seinen hybriden Urus SE mit mehr Leistung und elektrischer Reichweite und Porsche glänzt mit dem Schwestermodell des Audi Q6 / Q6 L Etron, dem Elektro-Macan.
Noch mehr Aufmerksamkeit bekommt der VW ID Code. Der ist zwar nur eine 4,90 Meter lange Konzeptstudie aus Wolfsburg, soll jedoch eine neue Designlinie einläuten und Lust machen auf elektrische Modelle, die schicker daherkommen als die bisherigen ID-Fahrzeuge. Erste Serienmodelle sollen sich zumindest in China noch dieses Jahr ankündigen. „Der ID Code gibt einen ersten Ausblick auf die Zukunft von VW in China: mit neuem Design, neuem Technologie-Standard und einem ganzheitlichen Markenerlebnis – speziell ausgerichtet auf die Bedürfnisse und Wünsche unserer chinesischen Kunden“, sagt Volkswagen-CEO Thomas Schäfer, „so läuten wir eine neue Ära der Mobilität in China ein, gemeinsam mit unseren chinesischen Partnern.“
Doch auch wenn die deutschen Topmanager sich in Peking betont selbstbewusst geben – die Messeauftritte der chinesischen Heimspieler sind in einer ganz anderen Liga unterwegs. Zahllose Messestände mit mächtigen Großbildschirmen, zu schmalen Gängen und zu viele Neuheiten – die Messe in Peking ist deutlich kompakter als das gigantische Gegenstück in Shanghai, das nächstes Jahr wieder die Auto China ausrichtet. Doch die Volumenmarken heißen auch hier Changan, Saic, MG, Roewe, Baic, Robocar oder der chinesische Marktführer BYD, der in Peking überraschend wenig neues zu bieten hat.
Die allgegenwärtigen SUV präsentieren sich zumeist größer als in Europa und kleine Fahrzeuge sind in den acht Messehallen ohnehin kaum zu finden. Stattdessen versuchen einige China-Marken mit mächtigen Kühlergrillen, Chromornat oder Extravaganzen wie Flügeltüren Aufsehen zu erwecken. Nach Europa schaffen es von den namenlosen Crossover-Modellen wohl ebenso wenige wie von den betont rustikalen Geländewagen, die eher an Panzerspähwagen, denn an zahme SUV erinnern.
Ein Trend scheint sich auch in Peking zu manifestieren: allenthalben parken im hellen Scheinwerferlicht luxuriöse Edelvans nach Vorbild von Lexus LM oder Volvo EM90, die bald auch den Sprung nach Europa schaffen dürften und die Luxuslimousinen unter Druck setzen. Neue Modelle wie Li Mega, Xpeng X9 oder ein Zeekr Mix gehen hier noch einen Schritt weiter in Richtung Luxusjet auf Rädern – mit viel Aufenthaltsqualität in den Staus von morgen.
Reine Verbrenner gibt es zwar kaum zu bestaunen, doch Plug-in-Hybride haben an den gleißend hell illuminierten Messeständen eine zentrale Bedeutung. Das mag schon deshalb kaum überraschen, weil beispielsweise BYD – Build Your Dreams, die Volkswagen nach fast vier Jahrzehnten die Marktführerschaft in China aus den Händen riss – allein einen PHEV-Anteil von fast der Hälfte hat.
Dem hat gerade die Konkurrenz aus Europa kaum etwas entgegenzusetzen, weil man auch in China entweder auf Elektromodelle oder reine Verbrenner setzte. Erst langsam wird hier korrigiert, weil die chinesischen Kunden die Kombination aus solidem Verbrenner und einem zusätzlichen Elektroantrieb mit mehr als 100 Kilometern Reichweite im Alltag sehr zu schätzen wissen. Kaum ein heimischer Hersteller auf der Auto China, der keine Plug-in-Hybriden anbietet – bisweilen mit bis zu 250 Kilometer an elektrischer Reichweite. Dabei hatten gerade in Europa viele den Hybridtrend schon abgeschrieben.
(Text & Fotos: Stefan Grundhoff; press-inform; Hersteller)