Für die meisten etablierten Autobauer ist der aktuelle Trend zum Elektroauto eine Bedrohung, auf die eher widerwillig und mit einigen wenigen Leuchtturm-Projekten reagiert wird. Kein Wunder: Das über Jahrzehnte erfolgreiche und ausgesprochen ertragreiche Geschäft mit Benzinern und Dieseln scheint sich seinem Ende zu nähern, in immer mehr Märkten greift ein immer größerer Teil der Neuwagen-Käufer zum Elektroauto. Ein Unternehmen wie BMW, das seine (Verbrennuns-)Motoren sogar im Namen trägt und deren Benzin- und Diesel-Triebwerke für lange Zeit nicht nur weltweiter Benchmark, sondern auch Kern der Marke waren, wäre eigentlich prädestiniert für ein Festhalten an diesem Konzept und für eine eher halbherzige Umsetzung der Elektro-Strategie.
Wie die Bemühungen, die Produkte und letztlich auch die Verkaufszahlen der letzten Jahre zeigen, ist BMW stattdessen ein Leuchtturm für eine gelungene Transformation in Richtung der Elektro-Mobilität. In den letzten Jahren ist nicht nur der Elektro-Anteil am Gesamtabsatz weiter gestiegen, im Gegensatz zu anderen etablierten Autobauern wie General Motors oder Ford ist es BMW auch gelungen, mit den Elektroautos einen Gewinn zu erwirtschaften. Genau deshalb sieht die New York Times BMW in einem ausführlichen Artikel als “Surprise Winner in Electric Vehicles” und führt im Detail aus, was die Münchner besser und erfolgreiche als ihre etablierten Rivalen aus dem Verbrenner-Zeitalter machen.
Gerade die vermeintliche Schwäche von BMW, nämlich die bisherige Konzentration auf flexible Architekturen zur Produktion von Verbrennern, Hybriden und Elektroautos an einem Band, wird dabei zur Stärke in der aktuellen Phase der Transformation. Auch wenn reine Elektro-Architekturen wie im Fall des ersten BMW i3 oder auch des iX ihre unbestreitbaren Vorteile haben, ist die bisher kaum vorhersehbare Nachfrage-Entwicklung bei entsprechender Eigenständigkeit mit hohen Risiken bezüglich der Werks-Auslastung verbunden.
In der Zukunft, die aller Voraussicht nach von Elektroautos dominiert wird, legt auch BMW den Fokus auf eigenständige Architekturen: Mit der Neuen Klasse-Architektur (NCAR) steht der Elektroantrieb ganz klar im Mittelpunkt. So lange es eine ausreichend große Nachfrage gibt, werden aber auch weiterhin Verbrenner angeboten – allerdings nicht auf Basis neuentwickelter Architekturen, sondern auf Basis der bestehenden Plattformen CLAR und FAAR.
Mit der eigenen Strategie konnte BMW nicht nur wertvolle Zeit gewinnen, die in die Entwicklung der neuen Elektro-Architektur NCAR investiert wurde, sondern auch die Übergangsphase erfolgreich gestalten: BMW ist einerseits weltweit größter Anbieter von Premium-Automobilen, aber andererseits auch klarer Elektro-Marktführer unter den etablierten Premium-Marken. Die New York Times sieht BMW deshalb als Paradebeispiel dafür, wie auch etablierten Autobauer der Wettstreit gegen junge Konkurrenten wie Tesla oder BYD gelingen kann.
Dabei gelingt BMW offenbar ein delikater Spagat, denn im Münchner Vierzylinder ist man sich einer großen Herausforderung sehr bewusst: Würde man sich heute schon zu sehr auf Elektroautos fokussieren und darüber die Verbrenner vergessen, würde man einen Großteil der bisherigen Kunden vor den Kopf stoßen. Auch deshalb vermeidet man in München ganz bewusst die Nennung eines End-Datums für die Verbrenner-Produktion: So lange es die Rahmenbedingungen erlauben, sollen weiter Fahrzeuge mit Benziner und Dieselmotor gebaut und verkauft werden – auch wenn Wachstum inzwischen nur noch über Elektroautos stattfindet.