Bei konventionell angetriebenen Autos lag ein wesentlicher Teil der BMW-Kompetenz auf dem Verbrennungsmotor, aber im gerade beginnenden Zeitalter der Elektroautos wollen sich die Münchner nicht mit Motoren-Kompetenz allein begnügen. Während der Energiespeicher bei einem Auto mit Benzin- oder Diesel-Motor ein vergleichsweise simpler Tank mit überschaubarem technischen Anspruch ist, zählt der Akku zu den wichtigsten Komponenten für die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit eines Elektroautos – deshalb hat BMW seit Jahren alle Weichen dafür gestellt, auch in dieser Hinsicht Kompetenzen aufzubauen und sich nicht ausschließlich auf die Arbeit von Zulieferern zu verlassen.
Zwei Experten dieses Gebiets sind Kurt Vandeputte, der bis vor kurzem beim belgischen Umicore-Konzern tätig war, und Peter Lamp, der bei der BMW Group seit vielen Jahren am Thema arbeitet. In einem von BMW selbst veröffentlichten Doppel-Interview gehen die beiden Experten auf die Strategie des Unternehmens, aber auch auf aktuelle und künftige Entwicklungen ein. Thema Nummer 1 ist derzeit die Entwicklung der Rundzellen für die 6. Generation der BMW eDrive-Technik, im Hintergrund wird aber auch schon intensiv am Zukunftsthema Feststoff-Akkus gearbeitet.
Bei beiden Technologien kommt es darauf an, die verschiedenen Aspekte einer Batterie optimal in Einklang zu bringen: Die Energiespeicher müssen schnell be- und entladen werden können, möglichst kompakt sein, mit den großen Temperatur-Schwankungen bei Fahrten in Hitze und Kälte umgehen können, auch im Fall eines Unfalls sicher sein, möglichst wenig kosten, ausgesprochen haltbar sein – und nicht zuletzt ist es wichtig, dass die genutzten Rohstoffe aus sauberen Quellen stammen und am Ende des Lebenszyklus auch ein Recycling darstellbar ist.
Wie die BMW Group mit diesem komplexen Mix an Herausforderungen umgeht und wo sich die Verantwortlichen selbst sehen, klärt das folgende Interview:
Herr Lamp, wir sind hier im BCCC – in der Nähe des Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ). Hier sieht alles sehr nach einer High-Tech-Forschungseinrichtung aus. Wo steht die BMW Group aktuell beim Thema Batterietechnologie?
Peter Lamp: Ich denke, wir sind sehr gut aufgestellt. Wie Sie sagten, befinden wir uns hier in unserem BCCC – in der Nähe des FIZ – und haben gerade unser Kompetenzzentrum Batteriezellfertigung (Cell Manufacturing Competence Center, CMCC) in Parsdorf eröffnet. Dank der Kombination aus BCCC, das sich mit der Forschung und Entwicklung der Zelltechnologie befasst, und CMCC, das für das Verständnis und das Etablieren der Industrialisierung der Zellproduktion zuständig ist, und unseren dort beschäftigten Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt, befinden wir uns auf Augenhöhe mit den besten Batteriezellenherstellern der Welt. Wenn ich mich an unsere Anfänge im Jahr 2008 mit unserem ersten Prototyp des batterieelektrischen MINI Cooper erinnere, haben wir einen weiten Weg zurückgelegt.
…und warum haben Sie es Ihrer Meinung nach geschafft, dieses Maß an Expertise zu erlangen?
Peter Lamp: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir sehr früh die richtige Strategie für BMW gefunden haben. Und diese Strategie ist relativ einfach: Wir haben unsere eigene Kompetenz in den beiden kritischen Bereichen Batteriezellentechnologie und Großserienproduktion so schnell und konsequent wie möglich ausgebaut. Dadurch kann BMW die besten Batterien in seine elektrifizierten Fahrzeuge bringen.
Herr Vandeputte, Sie sind nach über 25 Jahren bei Umicore gerade erst bei der BMW Group eingestiegen. Wie sehen Sie die Batteriestrategie von BMW?
Kurt Vandeputte: In meiner Zeit bei Umicore haben wir die Zusammenarbeit mit BMW im Bereich der Batterietechnologie aufgrund der klaren Strategie, die sich auf ein tiefgehendes Verständnis und die Beherrschung der Zelltechnologie und der Zellproduktion konzentriert, sehr geschätzt. Denn das ist wirklich der Kern des Geschäfts mit Batterien im Automotive Bereich.
In Anbetracht der Herausforderungen, mit denen Hersteller heutzutage aufgrund des Wandels in der Industrie konfrontiert sind – und unter Berücksichtigung des BMW Versprechens, seinen Kunden die ultimative Fahrmaschine zu liefern – glaube ich, dass der Ansatz von BMW sehr überzeugend und klar ist.
Und wie fühlt sich der Wechsel von einem „Material-Tech-Unternehmen“ zu einem deutschen Premium-Automobilhersteller an?
Kurt Vandeputte: Es fühlt sich wirklich gut an und gibt mir Energie. Es ist eine Ehre, Teil dieser legendären BMW Familie zu sein, und die sehr freundliche Atmosphäre, die hier herrscht, trägt sicher auch dazu bei. Im Hinblick auf die anstehenden Projekte sind die Ziele zugleich spannend und herausfordernd. Unabhängig davon, ob unser Schwerpunkt auf der Leistung der Batterie, den Kosten, den geringsten Umweltauswirkungen oder einer Kombination dieser Faktoren liegt, müssen wir ein optimales Zusammenspiel aller Materialien in der Zelle finden, womit wir wieder bei den aktiven Materialien wären, die ich gut kenne. Bei Umicore habe ich in einem sehr internationalen, technologieorientierten Umfeld gearbeitet – und das trifft auch auf meine neue Aufgabe hier bei BMW zu.
Herr Lamp, wenn wir über Projekte und Herausforderungen sprechen: Welchen nächsten großen Schritt können die Kunden von den elektrifizierten BMW Antriebssystemen erwarten?
Peter Lamp: Ein ganz wesentlicher Schritt wird im Jahr 2025 mit unseren ersten Modellen der NEUEN KLASSE vollzogen. Das wird der Ausgangspunkt für unsere sogenannte Gen6 eDrive-Technologie sein. Im Zentrum dieser Technologie wird unsere neue Rundzelle stehen: 20 Prozent mehr volumetrische Energiedichte, 30 Prozent schnelleres Laden, 30 Prozent mehr Reichweite im Vergleich zum entsprechenden Modell mit Gen5-Technologie.
Aber der Umstieg von einer prismatischen Zelle in der fünften Generation auf eine runde Zelle in der sechsten Generation ist ein bedeutender Schritt: Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Peter Lamp: Zu Beginn des Prozesses haben wir wirklich mit einem weißen Blatt Papier angefangen und waren offen für alle Zellformate und -größen. Aber angesichts der ehrgeizigen Ziele in puncto Leistung und Sicherheit kamen wir schon bald zu dem Schluss, dass die Rundzelle das beste Format für unsere nächste Generation ist.
Sie passt auch am besten zu unserem Integrationsansatz für die NEUE KLASSE: „Cell-to-pack“ und „Pack-to-open-body“.
Herr Vandeputte, ASSB wird oft als „The Next Big Thing“ angesehen. Wo steht BMW? Welches Potenzial hat die Technologie?
Kurt Vandeputte: Ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg. Mit unserem Partner Solid Power bauen wir in unserem CMCC in Parsdorf gerade eine neue Prozessentwicklungslinie auf. Auf dieser Linie werden wir – parallel zu unserem Partner in den USA – an den nächsten Schritten arbeiten, um diese fortschrittliche Batterietechnologie ins Fahrzeug zu bringen. Im 2. Quartal 2024 wird die Linie in Betrieb gehen. Und die Technologie hat Potenzial: höhere Energiedichten bei einer mindestens ebenso hohen Sicherheit wie heute.
Realistisch gesehen werden wir aber noch einige Jahre benötigen, bis die Technologie ausgereift und für die Industrialisierung bereit ist – dies dürfte erst gegen Ende des Jahrzehnts der Fall sein.
Betrachtet man die gegenwärtige Landschaft der Batterietechnologien, so wird in den Medien sehr häufig über neue Trends oder sogar Innovationen berichtet. Wie bleiben Sie bei all diesen Entwicklungen auf dem Laufenden?
Kurt Vandeputte: Das ist in der Tat ein sehr guter Punkt – und gleichzeitig etwas, das ich bei BMW seit Jahren beobachte: der enge Bezug des BMW Batterieteams zur Start-up-Szene sowie zu den Universitäten – das ist meiner Meinung nach ein sehr großer Vorteil und eine absolute Grundvoraussetzung, wenn man Technologieführer sein und bleiben möchte.
Peter Lamp: Dem stimme ich zu, und ich möchte noch etwas hinzufügen: Ich glaube, dass dies in zweierlei Hinsicht ein sehr großer Vorteil ist. Erstens wird so sichergestellt, dass BMW bei allen neuen Trends, Erkenntnissen und Entwicklungen auf dem Laufenden ist. Und zweitens hilft es uns, die besten Talente in der Branche zu finden – dies ist einer von vielen Gründen, weshalb wir mit Blick auf die BMW Batteriezellentechnologie der nächsten Jahre sehr optimistisch gestimmt sind.
Ich danke Ihnen beiden sehr für dieses Gespräch.