Nur selten wurde ein Auto derart stark herbeigesehnt wie der erste BMW M3 Touring, noch seltener konnte ein Auto über Jahrzehnte aufgebaute Erwartungen auch tatsächlich erfüllen. Dabei hat die enorm hohe Erwartungshaltung sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass die M GmbH so lange von einer Umsetzung abgesehen hat: War es nicht beinahe unmöglich, den enorm hohen Fahrdynamik-Anspruch eines M3 mit der Karosserie eines 3er Touring zu verschmelzen? Kann ein Kombi wirklich die Performance bieten, die M3-Kunden zu Recht erwarten? Wir durften den intern als G81 bezeichneten Power-Kombi für einen Fahrbericht ausführlich testen und konnten uns so selbst ein Bild von seinen vielseitigen Qualitäten machen.
Zweifel an seinen Fähigkeiten lächelt der BMW M3 Touring dabei schon auf den ersten Metern mit der gleichen Gelassenheit bei Seite wie den einen oder anderen Kommentar zum Front-Design, das er sich mit den übrigen M3 und M4 teilt: Selbstzweifel sind so ziemlich das einzige, was nicht zum Repertoire des G81 zählt. Dass er sich diese Herangehensweise erlauben kann, verdankt er dem beeindruckenden Technik-Paket des BMW M3 Competition mit M xDrive. Dank der aufreizend breit ausgestellten Kotflügel passen Fahrwerkstechnik und breite Spur auch unter den Touring-Aufbau – und doch erinnert schon Sekunden nach dem Einsteigen nichts mehr daran, dass man gerade in einen “Familienkombi” eingestiegen ist: Genau wie die M3 Limousine oder das M4 Coupé ist auch der M3 Touring mit jeder Faser seines Wesens ein hochklassiger Entertainer, der selbst auf kurzen und vermeintlich langweiligen Strecken immer wieder seine Unvernunft durchscheinen lässt und den Fahrer ständig dazu animiert, doch noch ein paar km/h draufzulegen.
Da die Traktion aufgrund des Allradantriebs nie ein kritisches Thema ist, rückt auf kurvigen Strecken vor allem die Vorderachse in den Fokus: Wo andere Allradler einst mit eher rudimentär ausgeprägter Agilität langweilten und sich bei der Fahrdynamik beinahe vollständig auf imposante Beschleunigung aus dem Stand fokussierten, vereint der BMW M3 Touring die Kurvengier der Limousine mit der Allrad-typischen Traktion. Egal ob an der Ampel oder am Kurvenausgang, die 510 PS und 650 Newtonmeter des G81 finden immer einen souveränen Weg auf den Asphalt. Das Level an Rückmeldung und Präzision in der Lenkung muss sich dabei nicht hinter den heckgetriebenen M3 verstecken und kann auch anspruchsvolle Fahrer überzeugen, die aus Fahrspaß-Gründen bisher ganz bewusst auf vier angetriebene Räder verzichtet haben.
Wieviel fahrerisches Können dabei gefragt sein soll, entscheidet der Fahrer mit Hilfe des M Setups auf Knopfdruck: Das Basis-Setup 4WD, der deutlich hecklastigere Modus 4WD Sport und der reine Hinterradantrieb 2WD sind nur die auf den ersten Blick ersichtlichen Modi, denn in den tieferen Ebenen des iDrive-Menüs findet sich bekanntlich noch die zehnstufige M Traction Control: Je nach individueller Vorliebe, Witterung, Streckenkenntnis, Anzahl der Beifahrer oder schlicht Lust und Laune kann der Über-Kombi von einer Sekunde auf die andere sein Wesen verändern.
Wer es mag und den M3 Touring zum Tanz auffordert, kann ihn jederzeit mühelos ins Übersteuern bringen – aber neben dieser primär der Befriedigung des Spieltriebs dienenden Form der Unterhaltung beherrscht der G81 auch die knallhart an Rundenzeiten orientierte Performance-Spielart, die ihm den Titel des schnellsten Kombis auf der Nürburgring Nordschleife eingebracht hat. So glänzt der M3 Touring als Sportwagen im Dress eines Familien-Kombis und bietet eine wahrhaft konkurrenzlose Kombination von Laderaum und Rennstrecken-Tauglichkeit.
Am Steuer fällt es allerdings schwer, die erlebte Dynamik mit dem Platzangebot in Einklang zu bringen: Dass sich hinter den Carbon-Schalensitzen bei umgeklappter Rückbank eine weitestgehend ebene Ladefläche mit den gleichen 1.500 Litern Stauraum wie in den gewöhnlichen 3er-Varianten ergibt, muss man nach einer Fahrt am Limit zunächst kurz einsacken lassen. Daran hat natürlich auch der bestens bekannte Biturbo-Reihensechszylinder seinen Anteil, der den Kombi in jeder Lebenslage geradezu brachial beschleunigen lässt und dabei auch akustisch immer präsent ist.
Und was kann man diesem Paket nun vorwerfen? In erster Linie Dinge, die M3-Kunden ganz bewusst abwählen: Der Über-Kombi aus Garching ist wesentlich härter und direkter als jeder andere 3er Touring und bietet insofern auch spürbar weniger Komfort, er besitzt gewissermaßen schlechte Manieren und animiert selbst brave Naturen zur gelegentlichen Grenzüberschreitung, er legt mitunter ein geradezu rüpelhaftes Auftreten an den Tag und besitzt durchaus eine gewisse Trinkfestigkeit bis hin zur 15-Liter-Marke, wenn man ihn dazu bittet. Außerdem bereitet es ihm geradezu Freude, auf jeden Ansatz von Understatement zu verzichten.
Wer glaubt, mit einem BMW M3 Touring in Schwarz eine relativ unauffällige Variante des Power-Kombis bestellen zu können, behält übrigens nur im direkten Vergleich mit kräftigeren Farben wie Speed Gelb Recht: Auch in Saphirschwarz lenkt der G81 zahllose interessierte Blicke auf sich, sammelt erhobene Daumen und anerkennendes Nicken und wird offenbar von so gut wie keinem Auto-Interessierten übersehen. Dabei war unser Testwagen fast komplett in Schwarz gehalten, nur die goldenen Bremssättel der optionalen Carbon Bremsanlage und die Bestandteile des Carbon-Exterieurpakets sorgten für ein paar hellere Nuancen.
Als kleine, aber doch spürbare Wermutstropfen bleiben vor allem drei Dinge: Puristen hätten sich schon aus Prinzip heraus gefreut, wenn es den BMW M3 Touring auch ohne Allradantrieb und mit manuellem Getriebe geben würde. Nicht jeder blickt mit Freude auf die elektrische Zukunft, die den ersten M3 Touring auch zum letzten machen könnte – zumindest zum letzten mit Verbrennungsmotor. Und es ist ausgesprochen bitter, ein Auto wie dieses nach wenigen Tagen wieder abgeben zu müssen.