Als wir das letzte Mal mit einem BMW 760i in den USA unterwegs waren, trug dieser noch ein M im Namen und vier Zylinder mehr unter der Haube. Aber Zeiten ändern sich, und das heißt im Fall des neuen BMW 760i (G70) leider auch, dass selbst acht Zylinder für Europa zu viel sind: Der V8-7er wird in der neuen Generation nur noch auf ausgewählten Märkten verkauft, in Deutschland und anderen europäischen Märkten sind sechs Zylinder das Ende der Fahnenstange. Für den ersten Fahrbericht mit der neuen Luxuslimousine stand allerdings kein anderer Verbrenner zur Verfügung, weshalb wir uns auf den rein elektrischen BMW i7 (zum Fahrbericht) und das bei uns nicht erhältliche V8-Modell 760i konzentriert haben.
Steigt man aus dem BMW i7 in den 760i, fallen mehrere Dinge sofort auf: Beide 7er-Varianten sind anders als im Fall von Mercedes S-Klasse und EQS auch technisch extrem eng verwandt. Beide verkörpern den gleichen Anspruch an Komfort und Luxus. Und dennoch reichen die unterschiedlichen Antriebe aus, um ihnen sehr unterschiedliche Charaktere zu bescheren: War der 760i in der Vergangenheit das unumstrittene Topmodell und die Krönung der Baureihe, so muss sich der neue BMW 760i im Jahr 2022 gegen die zunehmende Macht der Elektroautos stemmen. Er steht für die “alte Welt” der Verbrenner, in den Augen mancher Kunden auch für die “gute alte Zeit”. Aber reicht das, um den elektrischen i7 in den Schatten zu stellen – oder ist das die völlig falsche Frage, weil sich BMW den Luxus gönnt, 7er-Kunden die freie Wahl zu lassen und für jede Vorliebe das passende Paket im Programm zu haben?
Fest steht jedenfalls, dass der neue BMW 7er (G70) auch mit Verbrennungsmotor eine extrem markante Luxuslimousine mit einer Unmenge technischer Finessen ist. Egal ob Theatre Screen, elektrisch öffnende und schließende Türen oder die Assistenzysteme für Autonomes Fahren gemäß Level 2+ (zum Onboard-Video), all diese Optionen sind beim neuen 7er keine Frage des Antriebs. Auch die umfassende Fahrwerks-Technik, angefangen von der Zweiachs-Luftfederung über die aktive Wankstabilisierung bis hin zur Hinterradlenkung, wird serienmäßig oder auf Wunsch in allen 7ern verbaut.
Dennoch ergibt sich im BMW 760i eine ganz andere Art zu fahren als im nominell gleich starken i7: Zwar ist der Achtzylinder akustisch sehr gut gedämmt, aber sein Sound dringt dennoch in fast jeder Situation nach innen. Sportlich-fordernd wird der Klang des neuen V8-Biturbo S68 aber erst, wenn neben einem starken Druck aufs Gaspedal auch der Sport-Modus aktiviert ist. Ganz ohne Elektro-Power geht es übrigens auch im 760i nicht: Dem V8 steht ein 48-Volt-Bordnetz der zweiten Generation zur Seite, das über einen in das Gehäuse der Achtgang-Automatik integrierten E-Motor verfügt.
Die 544 PS kommen so noch spontaner auf Trab, können dabei aber dennoch nicht ganz mit der unaufgeregten Art des rein elektrischen i7 mithalten: Im Sport-Modus schaltet auch die ZF-Automatik wesentlich aggressiver, bleibt auch nach Beendigung eines Zwischensprints lange in einem vergleichsweise niedrigen Gang und trägt so dazu bei, dass der 760i in Schubphasen mitunter etwas angestrengter als nötig wirkt. Im Gegenzug verwöhnt der V8-7er unter Last mit einem Sound, der für viele Menschen die ebenso zeitlose wie perfekte Untermalung für druckvolle Beschleunigung ist.
Auf kurvigen Strecken besitzt der BMW 760i zwar den Vorteil des geringeren Gesamtgewichts, aber natürlich auch den Nachteil des höheren Schwerpunkts. Und auch wenn ein i7 noch deutlich schwerer ist und der 760i eine ganze Flotte von Hightech-Features für eine im Segment überdurchschnittliche Dynamik mit an Bord hat: Wer auf der Suche nach einem echten Kurvenräuber ist, dürfte auch mit der rund 2,3 Tonnen schweren und ebenfalls 5,39 Meter langen V8-Limousine nur bedingt glücklich werden.
Denn Achtzylinder hin oder her: Mit Blick auf die Fahrzeugklasse ist es kein Geheimnis, dass der Fokus der Entwickler eher auf dem Komfort als auf ultimativer Sportlichkeit lag und liegen musste. Und in dieser Hinsicht liefert auch der 760i eine sehr überzeugende Vorstellung ab: Wer auf langen Strecken überall schnell tanken können oder auf das Hintergrund-Geräusch eines Verbrenners einfach nicht verzichten will, macht mit dem konventionell angetriebenen 7er sicher keinen Fehler – und für alle anderen gibt es den i7, der anders als ein EQS keine Abstriche beim Komfort oder Platzangebot mit sich bringt.
In Europa wird die Frage nach “Verbrenner oder Elektro” nach internen Planungen in vielen Fällen mit einem “und” beantwortet: Neben dem 740d mit Sechszylinder-Diesel und dem i7 werden auch die Plug-in-Hybride eine wesentliche Rolle bei den Verkaufszahlen spielen. Eher eine Randerscheinung dürfte die imposante Two-Tone-Lackierung sein, die unser Testwagen mit Saphirschwarz oben und Aventurinrot unten zeigt – einerseits verliert der Auftritt der Limousine so auch den letzten Rest von Understatement, andererseits dürften 12.000 Euro Aufpreis selbst so manchen 7er-Kunden ins Grübeln bringen.