Wer noch immer glaubt, dass vernünftige Autos keinen Spaß machen können, dürfte vom neuen BMW iX1 (U11) endgültig eines Besseren belehrt werden: Der 313 PS starke Elektro-X1 zeigt gleich auf unserer ersten Ausfahrt, dass er scheinbare Gegensätze auflösen und ein breites Publikum für sich begeistern will. Die Ziele der Verantwortlichen sind dementsprechend ambitioniert, denn mehr als 30 Prozent des X1-Absatzes der dritten Generation sollen auf den elektrischen iX1 entfallen. Eine starke Abgrenzung von den konventionell angetriebenen BMW X1 (U11) halten die Designer dabei offenbar für vollkommen unnötig: Je nach Konfiguration ist der iX1 kaum von den übrigen X1-Varianten zu unterscheiden.
Auch der für unseren ersten Fahrbericht genutzte BMW iX1 xDrive30 mit M Sport-Paket und matter Lackierung in Frozen Pure Grey verrät seinen Elektroantrieb erst bei sehr genauem Hinsehen. Sitzt man jedoch am Steuer, bestehen schon unmittelbar nach dem Drücken des Startknopfs keine Konzept-Zweifel mehr: Der 313 PS starke iX1 erwacht mit einer sanften Melodie von Hans Zimmer zum Leben und signalisiert seine Einsatzbereitschaft, ohne wie andere kompakte Fahrzeuge seiner Leistungsklasse Wert auf Show zu legen.
Wichtiger als die imposante Spitzenleistung sind im Fall des BMW iX1 aber ohnehin die Effizienz und damit auch die in der Praxis erzielbare Reichweite: Gemäß WLTP-Zyklus schafft der Elektro-X1 mit vollem Akku 414 bis 440 Kilometer, wobei er genau wie andere aktuelle BMW-Modelle mit der fünften eDrive-Generation auch im echten Leben verhältnismäßig nah am Zyklus-Versprechen bleiben soll. Auf unserer ersten Testfahrt konnten wir dieser Frage mangels Fahrzeit und Distanz nicht auf den Grund gehen, aber Praxis-Erfahrungen erster Kunden soll es bereits rund um den Jahreswechsel geben.
Praktisch jede Fahrt mit dem BMW iX1 beginnt mit Frontantrieb, denn der an der Vorderachse platzierte E-Motor mit dem internen Kürzel M170SF übernimmt den Antrieb meist im Alleingang: So lange seine Leistung genügt und auch die Traktion angetriebener Hinterräder nicht benötigt wird, bleibt der hinten platzierte Motor (M170SR) völlig unbeteiligt. Schade ist, dass sich im iDrive-Menü keine Ansicht im Sinne eines Energiefluss-Diagramms findet, die dem Fahrer eine Info zum aktuell genutzten Antriebskonzept liefert.
Wenn beide Motoren ihre volle Leistung zur Verfügung stellen, werden alle vier Räder des inklusive Fahrer und Gepäck knapp 2,1 Tonnen schweren iX1 mit 313 PS und 494 Newtonmeter Drehmoment angetrieben. Hierfür muss zunächst per kurzem Zug an der linken “Schaltwippe” am Lenkrad der Boost Mode aktiviert werden, denn nur dieser schaltet die letzten 30 Kilowatt frei. In der Praxis ist dieser Schritt aber fast immer überflüssig, denn die ebenso verzögerungsfrei wie vehement einsetzende Beschleunigung des E-Antriebs beim Kickdown sorgt in jeder auf öffentlichen Straßen erfahrbaren Situation für mehr als genügend Vortrieb.
Wer den BMW iX1 xDrive30 auf kurvigen Strecken fliegen lässt, dürfte nicht selten vom Querdynamik-Potenzial überrascht werden: Dank des großen Akkus ist der Schwerpunkt extrem niedrig, außerdem verteilt sich das Gewicht exakt im Verhältnis 50 zu 50 zwischen beiden Achsen. Auch wenn das M Sport-Fahrwerk aus Rücksicht auf den Akku im Fahrzeugboden auf eine Tieferlegung verzichtet, kann der iX1 mit erstaunlicher Fahrdynamik begeistern: Das mit Blick auf Effizienz und Reichweite auf ein Angebot ausgewiesener Sportreifen verzichtet wird, ist angesichts der auf Wunsch selbst vorn 245 Millimeter breiten Bereifung und des hauptsächlichen Einsatzzwecks kein wirkliches Problem.
Im Alltag der meisten Kunden dürfte die maximale Rekuperationsleistung von 140 kW dennoch wesentlich häufiger abgerufen werden als die volle Antriebsleistung von 230 kW: Der BMW iX1 nutzt Bewegungsenergie wann immer möglich zum Aufladen des netto 64.7 kWh fassenden Lithium-Ionen-Akkus und sorgt so dafür, dass die mechanische Bremse abgesehen von sehr starken Verzögerungen praktisch arbeitslos bleibt. Die adaptive Rekuperation berücksichtigt neben dem umgebenden Verkehr auch Kreuzungen, Kreisverkehre und andere Gründe zum Verzögern, weshalb sie praktisch immer das richtige Maß findet.
Wenn der Akku schnell geladen werden soll, ist das mit bis zu 130 kW möglich. So können innerhalb von 10 Minuten mehr als 100 Kilometer Reichweite “getankt” werden. Wenn die im Navigationssystem geplante Strecke die Reichweite übersteigt, wird im Navigationssystem automatisch nach Lademöglichkeiten entlang der Route gesucht, damit diese mit minimalem Aufwand in die Zielführung integriert werden können. Leider steht für die Bedienung des Infotainment-Systems auch im iX1 kein iDrive-Controller zur Verfügung, stattdessen müssen viele Funktionen per Touchscreen oder Spracheingabe aktiviert werden.
Etwas kleiner als beim regulären X1 fällt das Kofferraum-Volumen aus, mit 490 bis 1.495 Liter liegt es aber noch immer auf dem Niveau eines konventionell angetriebenen BMW 3er Touring (G21 LCI). Eine weitere Einschränkung betrifft ausschließlich Anhänger-Nutzer: Maximal darf der iX1 mit 1.200 Kilogramm Anhängelast gefahren werden. Da die Effizienz im Anhänger-Betrieb schon aus aerodynamischen Gründen erheblich leidet, dürfte diese Form der Nutzung aber ohnehin eher die Ausnahme als die Regel sein.
Trotz höherer Aufwände für die Produktion liegen die CO2-Emissionen des BMW iX1 laut internen Berechnungen bis zum Erreichen der 150.000-Kilometer-Marke zwischen 30 und 57 Prozent niedriger als im Fall eines BMW X1 sDrive18i mit konventionellem Antrieb. 30 Prozent werden beim Laden mit dem heute üblichen EU-Strommix erzielt, 57 Prozent sind bei konsequenter Grünstrom-Nutzung möglich. Erreicht wird diese Einsparung auch, weil in der Produktion konsequent auf Recycling und die Zweitverwertung von Rohstoffen geachtet wird – zum Beispiel im Fall von Aluminium-Bauteilen, die zu 70 Prozent aus Sekundär-Material bestehen.
Der zunächst als Alleinunterhalter startende iX1 xDrive30 dürfte nach unseren Informationen nicht lange die einzige Option bleiben, schon 2023 dürfte eine sDrive-Variante mit Frontantrieb und deutlich niedrigerem Preis vorgestellt werden. Bis dahin könnte der Grundpreis von 55.000 Euro eine Hürde bleiben, die so manchen potenziellen Kunden auch nach einer Probefahrt noch ein wenig warten lässt.