Bei Carbon standen viele Jahre die überragenden Eigenschaften des Werkstoffs im Vordergrund, aber über die zur Herstellung notwendige Energie wurde nur am Rande nachgedacht. Längst nicht jeder Hersteller von Carbon-Bauteilen ging dabei so weit wie BMW, wo schon beim i3 konsequent auf eine Carbon-Produktion mit Wasserkraft geachtet wurde. Noch besser als ein hoher Energieverbrauch mit sauberen Energiequellen ist aber zweifellos ein von vornherein niedrigerer Energieverbrauch, weshalb die Fortschritte der Firma Bcomp bei der Herstellung von Leichtbau-Materialien aus Naturfasern so bemerkenswert sind: 60 bis 85 Prozent niedriger sind die CO2-Emissionen in der Herstellung.
Hierbei werden nicht nur Fasern, sondern in gewisser Weise auch Baupläne aus der Natur genutzt: Ähnlich wie bei den Adern eines Blattes nutzt Bcomp bei dafür geeigneten Teilen eine powerRibs genannte 3D-Struktur, die durch gezielte Verstärkungen auf der Rückseite die gleiche Bauteil-Stabilität bei deutlich geringerem Materialeinsatz ermöglichen. Besonders gut sichtbar wird das Potenzial der neuen Naturfaser-Materialien auf den Fotos eines unlackierten BMW M4 GT4 (G82), denn der neue Rennwagen trägt an zahlreichen Stellen die bräunlichen Komponenten mit ihrem natürlichen Ursprung:
Nicht nur Motorhaube, Türen und Heckklappe, auch Frontsplitter und Diffusor bestehen aus den mit Flachs gefertigten Bauteilen. Noch mehr Naturfaser-Bauteile finden sich im Innenraum, angefangen von den Türtafeln über den Armaturenträger bis hin zur extrem reduzierten Mittelkonsole. Kein Zweifel: All diese Teile wären bisher aus Carbon gefertigt worden und hätten entsprechend höhere CO2-Emissionen verursacht.
Dabei bietet Flachs sogar noch Vorteile: Nicht nur das Vibrationsverhalten ist besser als bei Carbon, im Fall eines Kontakts auf der Rennstrecke entstehen auch keine scharfkantigen Splitter. So minimieren die Naturfasern das Risiko eines Reifenschadens. Und falls ein Teil bei einem Unfall komplett zerstört werden sollte, gestaltet sich auch das Recycling erheblich einfacher und energiesparender als bei Carbon-Teilen.
Schon in der Vergangenheit hat BMW Motorsport mit Naturfaser-Bauteilen in der DTM und der Formel E gearbeitet, aber der Einsatz im BMW M4 GT4 und anderen Rennwagen ist natürlich nur der Anfang: Die weitaus größeren Effekte auf die CO2-Emissionen lassen sich natürlich bei Serienfahrzeugen erzielen. Dabei geht es längst nicht nur um Teile, die unter Abdeckungen vor den Blicken der Kunden geschützt sind: Auch bis zur Vorstellung erster BMW M Performance Tuning-Parts aus Naturfasern ist es nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens dann soll das Thema des nachhaltigen Leichtbaus auch in der Tuning-Szene Fuß fassen.
(Fotos: © Bcomp / Johannes Nollmeyer)