Mehr als 40 Jahre hat die M GmbH ihre Fans auf ein zweites eigenständiges Modell warten lassen, nun steht der BMW XM in den Startlöchern und tritt in gewisser Weise in die Fußstapfen des M1. Unter normalen Umständen würde man jetzt von großen Fußstapfen sprechen, die eine Neuauflage erst einmal ausfüllen müsse – aber beim Anblick der mächtigen 23-Zoll-Felgen auf dem von uns für einen ersten Vorab-Fahrbericht gefahrenen Prototypen sind es plötzlich die Füße des M1, die ziemlich zierlich wirken. Auch sonst ist der BMW XM so etwas wie der Gegenentwurf zum Supersportler von einst, der möglichst flach und leicht und aerodynamisch sein wollte: Im Jahr 2022 verfolgt die M GmbH offenkundig andere Ziele und setzt auf enorme Präsenz, die sich aus stattlichen Abmessungen und einem extrem selbstbewussten Design ableitet.
So mancher Liebhaber des alten M1 kann beim Anblick des BMW XM nur den Kopf schütteln, aber ohne Frage leben wir heute in ganz anderen Zeiten als Ende der 70er: Das weltweite Boom-Segment sind seit vielen Jahren SUV, während die Nachfrage nach klassischen Sportwagen und (zweitürigen) Coupés seit langer Zeit immer weiter schrumpft. Ging die Begeisterung für ein Fahrzeug früher vom Prinzip “weniger ist mehr” aus und führte zu konsequent auf einen Einsatzzweck optimierten Autos, so verlangen viele Kunden heute wahre Alleskönner – egal ob Rennstrecke oder Langstrecken-Fahrt zum Skiurlaub mit der Familie, moderne Sportwagen sollen in so gut wie jedem Szenario. Das breite Anforderungs-Profil führt zwangsläufig zu völlig anderen Fahrzeugen, die eher der Devise “mehr ist mehr” zu folgen scheinen.
Aber genug der Theorie, wir sind zum Fahren nach Österreich gekommen! Der Prototyp zeigt dabei schon vor dem Einsteigen und trotz starker Tarnung seine Eigenständigkeit, denn die Kombination von Abmessungen zwischen X5 und X7 mit der dynamisch abfallenden Dachlinien und den markant ausgestellten Kotflügeln hebt ihn klar von allen anderen X-Modellen ab. Wenn im Herbst die Tarnung endgültig entfernt wird, werden nicht nur die horizontal geteilten Split-Headlights und die sehr speziell gezeichneten Rückleuchten stark an das XM Concept erinnern. Sitzt man in der ersten Reihe, wirkt aber zunächst vieles sehr vertraut: Hinter dem Lenkrad sehen wir das heute typische Curved-Display und die Mittelkonsole erinnert nicht zufällig an aktuelle M-Modelle mit all ihren Setup-Optionen und Menüs.
Dass der BMW XM dennoch seinen ganz eigenen Weg geht, wird spätestens beim Druck auf den Startknopf deutlich: Obwohl unter der Haube ein über 500 PS starker Achtzylinder mit 4,4 Liter Hubraum auf seinen Einsatz wartet, bleibt es zunächst vollkommen still – denn für Rangieren, Stadtverkehr & Co. ist zusätzlich ein bis zu 145 kW starker Elektromotor an Bord. Sobald das Gaspedal etwas stärker durchgedrückt wird, erwacht auch der V8-Biturbo der jüngsten Generation unüberhörbar zum Leben. Der zunächst in X7 M60i und 760i debütierende S68 leistet im von uns gefahrenen XM 530 PS, sodass sich eine Systemleistung von rund 650 PS und ein System-Drehmoment von 800 Newtonmeter ergeben – doch damit wird noch lange nicht Schluss sein, auch die mit dem Concept Car angekündigte Ausbaustufe mit 750 PS und 1.000 Newtonmeter ist weiterhin geplant.
Auf unserer Fahrt im öffentlichen Straßenverkehr ist der Unterschied zwischen 650 und 750 PS allerdings kaum relevant: Jeder starke Tritt aufs Gaspedal sorgt für eine sofortige Leistungsexplosion, denn der Elektromotor geht ansatzlos mit 450 Newtonmeter Drehmoment zur Sache und verschafft damit sowohl dem V8-Biturbo als auch der Achtgang-Automatik noch etwas Zeit zum Durchatmen, bevor der Achtzylinder im optimalen Drehzahlbereich angekommen ist und mit vollem Ladedruck das Zepter übernimmt. Wirklich abrufen lässt sich die schiere Kraft des bisher stärksten Serien-BMW aller Zeiten immer nur für wenige Sekunden, schließlich sind sämtliche österreichischen Tempolimits innerhalb kürzester Zeit erreicht.
Wie üblich können über das M Setup zahlreiche Einstellungen getroffen werden, um neben Motor auch Fahrwerk, Lenkung, Bremse und den Allradantrieb M xDrive an die Situation und die individuellen Vorlieben anzupassen. Nicht mit an Bord ist dabei die 2WD-Option, die wir von M5 und M8 sowie den Allrad-Varianten von M3 und M4 kennen: Genau wie andere X-Modelle der M GmbH bleibt auch der XM permanent ein Allradler. Das Hightech-Paket an Bord des BMW XM umfasst dabei auch die Integral-Aktivlenkung genannte Hinterachslenkung und eine Wankstabilisierung, die auf das 48-Volt-Bordnetz zurückgreift und ihren Job deshalb noch überzeugender erledigen kann.
Auf den zum Teil sehr engen Landstraßen, über die uns unsere erste Fahrt mit dem BMW XM führt, kann das SUV auch deshalb einigen Eindruck hinterlassen: Für ein Fahrzeug dieser Größe und gemessen am Leergewicht von stattlichen 2,7 Tonnen ist es beinahe absurd, wie spontan der Koloss auf Lenkwünsche reagiert und wie agil er sich auch um enge Ecken zirkeln lässt. Keine Frage: Verglichen mit einem kompakten Sportwagen hat auch dieses SUV seine Grenzen, aber im virtuellen Duell mit einem X5 M ist der Dynamik-Gewinn dennoch beachtlich.
Einen gewissen Anteil daran hat auch der Plug-in-Hybrid-Antrieb, der dank des im Unterboden platzierten Lithium-Ionen-Akkus für einen sehr tiefen Schwerpunkt sorgt. Rund 80 Kilometer Elektro-Reichweite sind auch im Umfeld des BMW XM weit mehr als ein angenehmer Nebeneffekt: Zwar dient der Hybrid-Antrieb in den sportlichen Fahrmodi primär der Dynamik-Steigerung, aber im Alltag erlaubt er vielen Kunden auch rein elektrische Fahrten zur Arbeit oder zum Einkaufen.
Genau diese Alltags-Qualitäten spielen auch im Fond eine Rolle, denn auch hier ist der BMW XM denkbar weit vom typischen Bild eines Sportwagens entfernt: Dank eines im Vergleich zum X5 nochmals verlängerten Radstands genießen die Fond-Passagiere eine erstaunliche Beinfreiheit, was auch Langstrecken-Fahrten zu viert mit hohem Komfort ermöglicht. In Verbindung mit hochwertigen Materialien soll hier ein Lounge-Charakter entstehen, den gerade Kunden in den USA und China sehr zu schätzen wissen – und genau hier sieht die M GmbH auch die beiden Hauptmärkte für das exklusive Power-SUV.
Gerade auf diesen Märkten, in denen der BMW X5 zu den meistverkauften und damit auch “gewöhnlichsten” Modellen der Marke zählt, ist auch die eigenständige Optik des XM ein entscheidender Punkt: Vielen Kunden auf der Suche nach einem wirklich besonderen Fahrzeug sind auch X5 M und X7 viel zu gewöhnlich. Genau hier soll das markante Design des XM eine Zielgruppe erreichen, die bisher eher bei einem Lamborghini Urus oder einem Aston Martin DBX gelandet wäre. Ob dieses Konzept aufgeht, kann nur die Zukunft zeigen – praktisch sicher ist aber schon heute, dass der BMW XM die Stückzahlen des nur 460 Mal gebauten M1 ebenso klar in den Schatten stellen wird wie seine Leistung von 277 PS.
Offiziell enthüllt wird der BMW XM im Herbst 2022, auch die Produktion im Werk Spartanburg beginnt noch in diesem Jahr. Die ersten Besteller sollen das Hybrid-SUV im März 2023 erhalten. Zum Preis gibt es bisher noch keine konkreteren Aussagen, aber die rund 150.000 Euro eines X5 M Competition wird der XM auf jeden Fall deutlich übertreffen. Angesichts dieser Preise dürfte man es in Garching gut verschmerzen können, dass nicht alle Fans des alten M1 auch den XM für ein begehrenswertes Stück Automobilgeschichte halten werden.