Im Moment weiß niemand, wohin genau sich der Automarkt in den nächsten Jahren entwickelt und welche Antriebskonzepte wann in welchen Stückzahlen tatsächlich von den Kunden verlangt werden. Immerhin gibt es einige Beobachter unter den Investoren der BMW Group, die sich dennoch sehr sicher sind: So, wie es BMW-Chef Zipse und seine Vorstands-Kollegen angehen, ist es ganz sicher falsch. Im Rahmen der Hauptversammlung war immer wieder zu hören, dass Investoren der Führungsriege das Festhalten an einer Offenheit für verschiedene Antriebskonzepte vorwerfen, anstatt sich schon heute voll und ganz auf den Elektroantrieb zu konzentrieren.
Die Gründe für den von BMW beschrittenen Weg sind allerdings sehr plausibel und objektiv betrachtet kaum von der Hand zu weisen: Selbst wenn sich die Elektromobilität in den nächsten Jahren auf einigen Märkten praktisch vollständig durchsetzt und sämtliche Benziner und Diesel im Neuwagen-Geschäft verdrängt, wird ein solcher Siegeszug aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weltweit gelingen. Schon allein die Lade-Infrastruktur macht es vielerorts unmöglich, von heute auf morgen komplett auf Elektroautos zu wechseln. Für BMW würde das bedeuten: Bietet man nur noch Elektroautos an, bevor auch die Märkte in aller Welt so weit sind, überlässt man den weiterhin vorhandenen Markt für Verbrenner kampflos anderen Autobauern.
Um diesen Weg nicht gehen zu müssen, setzt die BMW Group auf die sogenannte Power of Choice: Schon bald soll der Kunde in jedem wichtigen Segment die Wahl zwischen Verbrenner und Elektroauto haben und darf selbst entscheiden, welches Antriebskonzept zu seinen individuellen Anforderungen und Lebensumständen passt. In den beiden wichtigsten Kategorien gibt es diese Auswahl schon heute: In der klassischen Mittelklasse steht der 3er mit Benziner, Diesel und Plug-in-Hybrid zur Wahl, während der i4 Elektro-Kunden bedient, bei den Mittelklasse-SUV erfüllen die verschiedenen Varianten von X3 und iX3 den gleichen Zweck. Ab Ende des Jahres gibt es ähnlich vollständige Angebotspakete im Segment von X1 und iX1 sowie bei 7er und i7, im nächsten Jahr kommen 5er und i5 hinzu.
Um diese Vielfalt bieten zu können, hat die BMW Group viel Geld in die Entwicklung neuer Verbrennungsmotoren gesteckt, die auch die zu erwartenden Anforderungen der Abgasnorm Euro 7 erfüllen können. Diese Investitionen liegen bereits in der Vergangenheit und es macht wenig Sinn, sie nun nicht nutzen zu wollen.
Einige Aktionäre werten die Vermeidung einer konsequenten Festlegung auf den Elektroantrieb allerdings als Schwäche und kritisieren den Vorstand dafür, nicht heute schon alle Energie in die Elektromobilität zu stecken. Der Verbrennungsmotor wird dabei als “Blackberry der Automobilindustrie” bezeichnet, in dessen Entwicklung nicht länger Geld gesteckt werden dürfe. Wer am Ende Recht hatte, kann nur die Zukunft zeigen – vielleicht ist das Jahr 2030 ein guter Zeitpunkt für eine erste Zwischenbilanz.
BMW-Chef Oliver Zipse ist sich bewusst, dass die Technologieoffenheit derzeit nicht der Mainstream ist, verteidigt die Strategie aber ausdrücklich:
Wir sind überzeugt: Wir haben die richtige Strategie. Wir haben zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Produkte und Technologien im Markt. Unsere Transformation wirkt – und bringt uns voran. Dafür brauchen wir weiterhin operative Exzellenz, Mut und einen eigenen technologiebasierten Weg. Mit diesen Eigenschaften machen wir die Transformation für uns sogar zum Wettbewerbsvorteil. In diesem Prozess können wir unsere BMW typischen Fähigkeiten voll ausspielen.
Technologische Vielfalt etwa. Der BMW Weg ist nicht Mainstream. Dafür wirksam. Wir senken die CO2-Emissionen. Schnell und effektiv. Jeder Antrieb leistet einen Beitrag. Europa stellt gerade die Weichen für den Green Deal. Aber: Bevor wir einzelne Technologien frühzeitig abschalten, sollten wir die neuen erst ausreichend absichern. Wir entwickeln alle Technologien weiter. Davon profitieren Klimaschutz wie Kunden. Substanziell. Jetzt. Und in den nächsten Jahrzehnten. Denn: Die Märkte „ticken“ auch künftig nicht identisch. Die Ladeinfrastruktur ist unterschiedlich ausgebaut. Die Kunden haben regional verschiedene Bedürfnisse.
Unser jüngstes Beispiel, wie wir Technologieoffenheit umsetzen: Der neue BMW 7er. Ein Modell. Vier Antriebe. Einzigartig im Luxussegment. Mit ihm starten wir auch die neueste Generation unserer hocheffizienten Verbrenner.
Sie ist bereits auf die Norm Euro 7 ausgelegt. Wir sind damit bei konventionellen Antrieben auf die regulatorischen Vorgaben vorbereitet. Bis in die 2030er Jahre. Und ich ergänze: Die wesentlichen finanziellen Aufwendungen liegen hinter uns.