Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine steht die Versorgung unserer Industrie mit Rohstoffen so stark im Fokus wie lange nicht. Was über Jahrzehnte als sicher galt, scheint plötzlich ungewiss: Wie lange können und wollen wir noch Gas aus Russland beziehen – und welche Folgen hätten entsprechende Entscheidungen für beide Seiten? BMW-Chef Oliver Zipse warnt nun im ausführlichen Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vor den Konsequenzen eines Gasembargos einerseits – andererseits aber auch vor der völligen Fokussierung auf Elektroautos statt Verbrennern, wie sie die EU derzeit für das Jahr 2035 plant: Zwar könnte man so die Abhängigkeit vom Öl für Benzin und Diesel reduzieren, im Gegenzug wären aber neue Abhängigkeiten von anderen Rohstoff-Lieferanten unvermeidbar.
Zipse wirbt deshalb erneut für eine nicht-binäre Strategie, die keinen vollständigen Abschied vom Verbrennungsmotor beinhaltet und Benziner oder Diesel stattdessen weiterhin auch als Neuwagen zulässt, auch wenn sich der Fokus unstrittig in Richtung batterieelektrischer Antrieb verschiebt. Zu letzteren zählen zwar nicht nur reine Elektroautos (BEV) wie i3, i4, i5, i7, iX3 und iX, sondern auch Wasserstoff-Fahrzeuge (FCEV) wie der BMW iX5 mit Brennstoffzelle, aber für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor (ICE) und folglich mit lokalen CO2-Emissionen – das beinhaltet auch Plug-in-Hybride (PHEV) – ist in den aktuellen Plänen der EU zumindest als Neuwagen kein Platz mehr. Selbst Wasserstoff lässt sich nur darstellen, wenn dieser entsprechend gefördert und klimaneutral hergestellt werden würde.
Die Batterien der riesigen Elektroauto-Flotten der Zukunft sieht Zipse dabei aus Sicht des Herstellers als eine zentrale Komponente, die mit einer großen Menge von ausschließlich außerhalb Europas gewonnenen Rohstoffen bestückt ist. Dadurch löst man zwar aktuelle Abhängigkeiten von bisherigen Lieferanten, aber im Gegenzug werden zwangsläufig neue Abhängigkeiten von anderen Lieferanten aufgebaut. Lösen ließe sich das Dilemma nur durch Technologie-Offenheit und das Vermeiden einer politischen Festlegung auf eine einzige Antriebsart.
Der BMW-Chef betont ausdrücklich, dass er mit seinen Aussagen auf keinen Fall gegen die Elektromobilität oder das Elektroauto an sich argumentiert: Seine Worte sind als Warnung davor gemeint, den Verbrennungsmotor vorschnell und übereilt als Antriebs-Option zu beerdigen. Er schlägt deshalb vor, dass die EU heute noch keine Entscheidungen für 2035 trifft und stattdessen 2027 oder 2028 eine Bewertung der bis dahin erlebten Transformation durchführt: Hat der Hochlauf der E-Mobilität wie geplant funktioniert? Haben die Kunden den neuen Antrieb akzeptiert und hält der Ausbau der Lade-Infrastruktur mit den neuen Stückzahlen Schritt?
Gerade beim Thema Lade-Infrastruktur sieht der BMW-Chef schon heute großen Verbesserungs-Bedarf: Die Zahl der Elektroautos wachse derzeit fünf Mal so schnell wie die Infrastruktur zum Laden ihrer Batterien. Und während sich die Diskussion mitunter auf Schnelllade-Optionen entlang der Autobahnen fokussiert, wird die in der Breite viel wichtigere Schaffung von Lademöglichkeiten in den urbanen Wohngebieten mitunter vergessen.
Beim Thema Chip- und Halbleiterkrise sieht Zipse keine schnelle Entspannung, stattdessen rechnet er auch im Jahr 2023 mit Versorgungs-Engpässen. Das komplette Interview von BMW-Chef Zipse in der NZZ gibt es hier.