Genügend Stoff für kontroverse Diskussion liefert auch die zweite Generation des BMW 2er Active Tourer (U06), aber im Vergleich mit ihrem Vorgänger werden die Themen 2022 ganz sicher andere sein als 2014: Standen einst quer montierte Motoren und Frontantrieb im Mittelpunkt, werden heute eher das wesentlich selbstbewusstere Design und der Verlust des iDrive-Controllers im Mittelpunkt stehen. Denn eines ist klar: Nach 430.000 verkauften Exemplaren der ersten Generation müssen Diskussionen über die Berechtigung eines Kompakt-Vans von BMW nicht länger geführt werden. Für einen ersten Fahrbericht durften wir kürzlich ans Steuer des BMW 223i und des 220i, außerdem konnten wir erste Eindrücke vom 326 PS starken Plug-in-Hybrid 230e xDrive sammeln.
Wie wichtig der Kompakt-Van gerade in Europa für BMW geworden ist, zeigt sich an der nun eingenommenen Vorreiter-Rolle für andere Baureihen: Als erster Kompaktklasse-BMW erhält der 2er Active Tourer ein Curved Display und iDrive 8, außerdem kommt er als erstes Modell seit langem ohne den 2001 eingeführten und von Millionen Kunden längst für selbstverständlich gehaltenen iDrive-Controller. Und es geht noch weiter: An Bord des Active Tourer debütieren auch die grundlegend überarbeitete TÜ2-Variante des in fast allen Baureihen verbauten Turbo-Vierzylinders B48 sowie die zweite Generation des 48-Volt-Bordnetzes, das sich unter anderem durch einen größeren Akku und einen stärkeren Startergenerator von der bisherigen Variante unterscheidet.
Steigt man also in den neuen BMW 223i Active Tourer (U06), gibt es tatsächlich viel mehr zu entdecken als “nur” die zweite Generation eines Kompakt-Vans aus München. Da alle anderen Benziner mit drei Zylindern arbeiten, sitzt man auch im einzigen neuen Active Tourer mit Vierzylinder-Ottomotor. Mit 204 PS und 320 Newtonmeter Drehmoment ist der 223i für einen Familien-Van sehr ordentlich motorisiert, der Antrieb bleibt zunächst aber dennoch ganz dezent im Hintergrund: Auf den ersten Metern darf der Motor in aller Ruhe auf Betriebstemperatur kommen und wir nutzen die Zeit, um uns auf das neue Infotainment-System zu konzentrieren.
Dabei drängt sich durchaus ein Vergleich mit kürzlich gefahrenen Modellen ganz anderer Preis- und Performance-Klassen auf, denn das Curved Display kennen wir bereits aus BMW i4 und iX. Der Eindruck könnte dabei aber unterschiedlicher kaum sein, denn vom freischwebenden, sehr großzügig dimensionierten und insgesamt beinahe futuristischen Eindruck an Bord der Elektroautos ist das Cockpit des Active Tourer weit entfernt: Die Displays hinter dem gebogenen Deckglas sind mit 12,3 und 10,7 Zoll nicht nur wesentlich kleiner, die gesamte Konstruktion ist auch viel näher am Fahrer und verliert daher ihren freischwebenden Effekt.
Im Vergleich zu anderen BMW-Modellen der jüngeren Vergangenheit wirkt das Curved Display daher nicht ungewohnt, sondern eigentlich von Beginn an vertraut. Was allerdings auffällt, ist das nach wie vor mit Hilfe einer kleinen Zusatzscheibe realisierte Head-up-Display. Die simple HUD-Lösung ist das Resultat der relativ nah und relativ steil vor dem Fahrer stehenden Frontscheibe – und sie bleibt einem “richtigen” Head-up-Display auch weiterhin klar unterlegen, weil der Blick wesentlich weiter nach unten gerichtet werden muss. Der Effekt eines ins Sichtfeld projizierten HUDs tritt damit nur sehr bedingt ein, denn zum Ablesen der Informationen müssen Blick und Fokussierung weit vom aktuellen Verkehrsgeschehen entfernt werden.
Auf der Suche nach vertrauten Möglichkeiten zur Anpassung der Einstellungen im Infotainment-System greift die rechte Hand gleich mehrfach ins Leere, denn vor der Armauflage befindet sich eine stark reduzierte Bedieneinheit. Die Frage, ob man den iDrive-Controller auf der ersten Fahrt vermisst, lässt sich nur mit einem klaren Ja beantworten – wichtiger ist aus Kundensicht aber, wie schnell man sich an die neue Bedienlogik gewöhnen kann und ob man ihn auch nach ein paar Tagen Eingewöhnung noch so schmerzlich vermisst wie zu Beginn. Auf unserer Fahrt gab es jedenfalls mehrere Situationen, in denen der vertraute Griff zum Controller im Nichts landete, bevor beispielsweise der vom automatischen Zoom veränderte Zoom-Level der Navigations-Karte mit einer Zweifinger-Geste auf dem Touchscreen während der Fahrt ungewohnt viel Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Bei der zunächst etwas ungewohnten Bedienung unterstützen die vier in das Curved Display integrierten Direktwahltasten zwischen den beiden Displays. Mit diesen lassen sich Navigation, Media-Steuerung, Telefonie und das zuvor genutzte Menü jederzeit wieder aufrufen. Außerdem befindet sich direkt neben dem Zurück-Button in der linken oberen Ecke des Infotainment-Displays auch fast immer ein Haus-Symbol, das den Nutzer zurück ins Hauptmenü bringt. Gute Dienste leistet auch die Sprachsteuerung, die viele Funktionen ganz ohne Knopfdruck steuerbar macht und damit am besten unter Beweis stellt, dass manche Knöpfe eigentlich nicht mehr gebraucht werden.
Doch genug von Infotainment und Bedienung, am Ende muss der BMW 2er Active Tourer schließlich fahrerisch überzeugen. Auch dank des auf 19 PS erstarkten 48-Volt-Bordnetzes hat es das von Magna gebaute 7-Gang-DKG leicht, den 204 PS starken Vierzylinder in ein gutes Licht zu rücken. Das Doppelkupplungsgetriebe macht dabei in den allermeisten Situationen einen unauffälligen und daher erfreulich guten Job, ganz so schlafwandlerisch wie bei den ZF 8-Gang-Automaten der größeren Baureihen gelingt die Gangwahl aber nicht immer.
Da der Antrieb des BMW 223i insgesamt kraftvoll und agil ist, gibt es bei Vollgas dennoch immer genügend Leistung – und im Sport-Modus sogar ein Maß an Fahrspaß, das im Kontext der Fahrzeugklasse nicht zu erwarten war. Dank der im Vergleich zum Vorgänger vorne wie hinten um rund 2,5 Zentimeter vergrößerten Spurweite und den 15 Millimetern Tieferlegung des M-Fahrwerks ist der Active Tourer erstaunlich zackig unterwegs, lenkt willig ein und ist nicht nur überraschend neutral abgestimmt, bei forscher Gangart und schnellen Lenkmanövern unterstützt sogar das Heck den handlichen Fahreindruck.
Die Lenkung gibt dabei naturgemäß kein so feinnerviges Feedback wie bei einer Vorderachse ohne Antriebseinflüsse, aber der Fahrer erhält dennoch einen guten Eindruck davon, was er den Vorderrädern gerade zumuten kann. Passend zum Segment ist die Fahrwerksabstimmung keinesfalls übertrieben hart, stattdessen finden Feder und Dämpfer auf die meisten Unebenheiten eine recht komfortable Antwort und steigern so den Komfort für alle Insassen deutlich.
Noch flexibler als bei der ersten Generation präsentiert sich die Rückbank und damit das Platzangebot im Fond: Die Elemente der serienmäßig im Verhältnis 40:20:40 teilbaren Rückbank lassen sich getrennt voneinander um bis zu 13 Zentimeter nach vorn oder hinten verschieben. außerdem kann die Rückenlehne für bis zu 90 Liter mehr Stauraum in unterschiedlichen Winkeln arretiert werden. Im Kofferraum fällt das Platzangebot mit 406 bis 1.455 Liter nominell etwas geringer als bisher aus, ohne direkten Vergleich ist hier aber kein Unterschied erkennbar.
Unterm Strich wird klar, dass BMW viele Hausaufgaben bei der Entwicklung des neuen Active Tourer vorbildlich erledigt hat. Gerade bei der Fahrdynamik gibt der Kompakt-Van eine zum selbstbewussten Design passende Vorstellung ab, während er sich beim Infotainment durch den fehlenden iDrive-Controller angreifbar macht. Die Eindrücke einer einzigen Fahrt genügen hier aber nicht für ein abschließendes Urteil: Mit etwas Umgewöhnung dürfte man den Dreh-Drück-Steller viel seltener vermissen und sich an andere Lösungswege gewöhnen. Ist dieser Schritt gemeistert, fährt man mit dem Active Tourer einen zum Markenversprechen passenden und unverändert praktischen Van, der auch im Komfort-Kapitel spürbar verbessert wurde. Wie bisher ruft BMW dabei hohe Preise auf: Für einen gut ausgestatteten 223i ist ein Listenpreis von über 50.000 Euro keineswegs ausgeschlossen.
Eine eher auf edel getrimmte Konfiguration zeigen die folgenden Fotos mit Luxury Line und Lackierung in Mineralweiß Metallic: