Erst wenn der BMW i4 im November seinen Marktstart feiert, kommen die Münchner so richtig im Elektro-Zeitalter an. Zwar gibt es seit Jahren Elektroautos von BMW, aber im wichtigen Segment der 3er-Reihe gab es bisher praktisch nur das Tesla Model 3. Mit der Einführung des BMW i4 ist die Zeit der kampflosen Erfolge für Elon Musk vorbei, denn nun stellt BMW endlich selbst ein Elektroauto im 3er-Segment auf. Für den ersten ausführlichen Fahrbericht durften wir ans Steuer des Topmodells i4 M50, das gleichzeitig das erste Elektroauto mit M im Namen sein wird und damit ganz selbstbewusst das nächste Ausrufezeichen setzt: Wer den stärksten Buchstaben der Welt im Namen trägt, darf sich vor Vergleichen mit M3 und M4 nicht scheuen.
Dass viele Beobachter hinter der diesbezüglichen Eignung des BMW i4 M50 ein großes Fragezeichen sehen, kann man ihnen nicht verdenken: Zu groß und zu offensichtlich sind die Unterschiede zwischen den bisherigen Ikonen der M GmbH und dem Neuling, der von Anfang an mit den Großen spielen will. Nicht übersehen sollte man dabei, dass BMW selbst den i4 M50 schon vom Namen her nicht im obersten High Performance-Segment einsortiert, sonst würde er schließlich als i4 M antreten. Dennoch werden Vergleiche mit M3 und M4 eher die Regel als die Ausnahme sein, denn mit seinen 544 PS Systemleistung und einer Sprintzeit von 3,9 Sekunden von 0 auf 100 fischt der Elektro-4er zweifellos in einem ähnlichen Gewässer wie die altbekannten Brüder mit ihrem nicht zu leugnenden Durst nach fossilen Brennstoffen.
Die enorme Kraft des BMW i4 M50 bestätigt den Anspruch, den das selbst auf ausdrücklichen Wunsch nicht abbestellbare M in der vorderen Niere symbolisiert: Schon bei etwas stärkerem Druck aufs “Gaspedal” reißt der i4 seine Insassen förmlich mit, “Vollgas” braucht er dafür bei weitem nicht. Wie bei jedem Elektroauto ist die ansatzlose Kraftentfaltung der in Summe 544 PS und 795 Newtonmeter generierenden E-Motoren auch deshalb so beeindruckend, weil die Beschleunigung nicht von einem lauten Aufheulen begleitet wird und daher vollkommen mühelos erscheint. Autofahrer, für die vehementer Vortrieb bisher immer mit dem charakteristischen Sound eines hochdrehenden Motors verbunden war, müssen ihre Sinne hier tatsächlich neu kalibrieren. Und während man am Steuer von M3 und M4 für unmittelbar beeindruckende Beschleunigung mindestens im richtigen Gang sein muss, ist der Elektro-M wirklich immer einsatzbereit.
Doch wer den BMW i4 auf seine Längsdynamik reduziert, macht ebenfalls einen Fehler, denn genau wie beim M3 dienen die starken Gene der 3er-Reihe nur als Absprungbasis für weitere Verbesserungen. Durch den Lithium-Ionen-Akku im Unterboden ist die Karosserie nicht nur deutlich steifer als bei der konventionell angetriebenen Mittelklasse aus München, auch der Schwerpunkt liegt mehrere Zentimeter tiefer. Gemeinsam mit der vorn um 26 Millimeter und hinten um 12 Millimeter vergrößerten Spurweite sowie der in den leicht hecklastigen Bereich auf 48 zu 52 Prozent verschobenen Gewichtsverteilung bringt der BMW i4 M50 überzeugende Anlagen mit, um seinem Namen auch auf kurvigen Strecken gerecht werden zu können.
Allerdings trägt das BMW i4 Gran Coupé auch eine gewaltige Hypothek mit sich: Fast 500 Kilogramm Mehrgewicht im Vergleich zur BMW M3 Limousine sind nicht von der Hand zu weisen und machen sich gerade in engen Kurven schnell bemerkbar. Was sich auf einer abgesperrten und betont engen Strecke wie bei unserer Vorab-Fahrt in Maisach in den Vordergrund drängt, verliert auf den meisten Landstraßen rasant an Bedeutung: Mit zunehmendem Kurvenradius rückt das Gewicht des i4 immer weiter in den Hintergrund, denn dank tiefem Schwerpunkt und breiter Spur liegt der Elektro-Bayer auch bei hohen Kurvengeschwindigkeiten ausgesprochen satt auf der Straße – und der Antrieb setzt den Wunsch nach mehr Geschwindigkeit jederzeit derart willig um, dass sich Überholmanöver beinahe wie im Videospiel anfühlen.
Dazu trägt auf Wunsch auch der Sound bei, denn mit den von Hans Zimmer komponierten BMW Iconic Sounds Eletric klingt der an sich lautlose i4 wie ein Raumschiff mit Warp-Antrieb. Diese Klangkulisse passt zwar durchaus zur gefühlten Beschleunigung, aber natürlich ist ihr künstlicher Ursprung und das Fehlen jeder technischen Notwendigkeit einem wachen Kopf permanent bewusst. Deshalb bleibt es wohl eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man den Sound aus dem Hollywood-Studio grandios futuristisch oder doch vollkommen überflüssig findet – so oder so genügt das Setzen oder Entfernen eines einzigen Häkchens auf dem imposanten Curved Display für die Anpassung an die individuellen Vorlieben.
Wer den BMW i4 M50 auf kurvigen Strecken fordert, wird die künstlichen Sounds jedenfalls nicht vermissen: Mit seinen 544 PS kann man den Elektro-4er innerhalb von Sekundenbruchteilen an jene Kurvengeschwindigkeit heranführen, bei der auch die 255 Millimeter breiten Pirelli-Sportreifen an der Vorderachse an ihre Grenzen kommen. Dank der proaktiven, aber praktisch immer hecklastigen Momentenverteilung zwischen den Achsen fühlt sich der i4 dabei sehr lange neutral und meist sogar erstaunlich agil an, auch wenn die Einlenk-Willigkeit und Direktheit der Lenkung nicht mit der eines M3 oder M4 mithalten will und kann.
Generell verzichtet der BMW i4 auf die aggressive und fordernde Art, mit der die Benzin-Junkies aus Garching nach immer höheren Drehzahlen und Geschwindigkeiten verlangen. Wo M3 und M4 den Fahrer herausfordern und ihn förmlich ans Limit treiben, bleibt der i4 auch bei hohem Tempo immer der entspannte und lässige Gentleman. Statt mit Show-Einlagen garniert er seine Performance mit Hightech-Features für maximale Effizienz, beispielsweise dem integrierten Bremssystem: Bei moderatem Druck aufs Bremspedal kommt nicht etwa die mechanische Bremse zum Einsatz, sondern zunächst die Rekuperation der E-Motoren. Erst bei wirklich starken Bremsmanövern genügen die 195 kW Rekuperationsleistung nicht mehr, sodass unmerklich auch die eigentliche Bremse genutzt wird.
Im normalen Fahrbetrieb ohne starke Lastanforderung ist der BMW i4 M50 meist als Hecktriebler unterwegs, denn der vordere E-Motor wird nur bei entsprechendem Bedarf hinzugeschaltet. Da die Aktivierung völlig lautlos und innerhalb von weniger als 100 Millisekunden erfolgt, sind damit keinerlei negative Effekte verbunden. Funktionen wie diese tragen dazu bei, dass der i4 durchaus sparsam bewegt werden kann: Wer nicht permanent Vollgas gibt, kann mühelos Praxis-Reichweiten von weit über 400 Kilometern erreichen.
Unterm Strich ist der BMW i4 M50 sicher kein Auto, von dem sich 100 Prozent der M3-Kunden überzeugen lassen werden. Er liefert aber einen Vorgeschmack auf die elektrische Zukunft künftiger M3-Generationen und deutet schon jetzt an, wie rasant es dann zugehen wird. Wie bei einem M340i oder M440i ist das Streben nach uneingeschränkter Alltagstauglichkeit und hohem Restkomfort ständig spürbar, die Radikalität und Vehemenz eines M3 oder M4 ist dem i4 fremd. Er ist zwar jederzeit bereit, scheinbare physikalische Grenzen einzureißen – aber so lange man ihn nicht danach fragt, drängt er seine Leistungsbereitschaft niemandem auf. Vielleicht ist er gerade deshalb die Ultimate Electric Driving Machine: Im lautlosen Alltag ein fast schon unauffälliger Understatement-Sportler, aber auf Wunsch jederzeit brutal schnell.