Revolutionäre waren schon so manches Mal auf leisen Sohlen unterwegs, aber so leise und zugleich so vehement wie der kürzlich von uns gefahrene BMW iX xDrive50 waren sie definitiv nur selten. Schon auf den ersten Metern drängt sich der Eindruck auf, dass die Entwickler die Lautlosigkeit des Elektro-SUV an eine der obersten Stellen im Lastenheft gehoben haben, denn der zweite von Anfang an als eigenständiges Elektroauto konzipierte BMW macht erschreckend deutlich, wie laut viele andere Autos bei völlig alltäglichen Fahrten sind. Auf den ersten Metern für unseren Fahrbericht dringen zumindest subjektiv nur die Navigationshinweise des Intelligent Personal Assistant ans Ohr, während auf dem scheinbar frei schwebenden Curved Display animierte Pfeile auf das Videosignal der Frontkamera gelegt werden und unmissverständlich zeigen, welcher Abzweig gemeint ist.
Wirklich bewusst wird einem die selbst für regelmäßige Elektroauto-Fahrer bemerkenswerte Stille an Bord des BMW iX erst, wenn bei höherem Tempo die ersten Windgeräusche nach innen dringen. Möglich wird sie durch eine Vielzahl von Maßnahmen, wobei die praktisch lautlos arbeitenden Elektromotoren nur einen Teil der Gesamtkomposition ausmachen: Mitverantwortlich sind zweifellos auch die extrem steife Carbon Cage Karosserie, der mit 0,25 vorbildliche cW-Wert und die optional erhältlichen Flüsterreifen mit zusätzlicher Schaumstoff-Einlage, die erst vor wenigen Jahren ihre Premiere im aktuellen Rolls-Royce Phantom feierten und eigentlich der obersten Luxusklasse vorbehalten sind. Zusätzlich betont wird das luxuriöse Gefühl durch die erhöhte Sitzposition eines X-Modells und das auf Knopfdruck verschattende Panorama-Glasdach, das den Innenraum hell und wohnlich macht.
Die Ruhe im Innenraum des BMW iX ist aber nicht nur ein Ausweis guter Geräuschdämmung, sie trägt auch ganz wesentlich zum Fahrgefühl und der generellen Atmosphäre bei: Auf den komfortablen und nachhaltig mit Olivenbaumblättern gegerbten, aber nicht gerade mit üppigem Seitenhalt glänzenden Ledersitzen fühlt man sich auch während der Fahrt wie in einer Lounge. Während draußen die Landschaft vorbeifliegt, kann man selbst immer mehr Aufgaben dem Auto überlassen. Und obwohl der iX mehr Funktionen als praktisch jeder andere BMW an Bord hat, ist sein Cockpit keineswegs mit Knöpfen und Schaltern übersät: Ausgewiesene Schalter gibt es im Shy Tech-Konzept nur noch für Funktionen, die wirklich regelmäßig benötigt werden – für alles andere gibt es schließlich die Spracheingabe und die tieferen Ebenen des neuen Infotainment-Systems iDrive 8, das neben Sprachbefehlen auch Eingaben per Controller oder über den 14,9 Zoll großen rechten Bereich des gebogenen Touchscreens verarbeiten kann. Letzteres öffnet wie ein Smartphone oder Tablet zusätzliche Menüs, wenn es mit Wischgesten von den Rändern aus bedient wird.
Ständig begleitet wird die Fahrt im BMW iX von einem Gefühl der Selbstverständlichkeit, mit der das Elektro-SUV die Wünsche des Fahrers verarbeitet. Egal ob es um ein neues Ziel im Navigationssystem oder etwas Unterstützung bei langweiligen Fahrten auf einer limitierten Autobahn geht: Der iX macht einfach, was man sich in der jeweiligen Situation von ihm wünscht. Besonders beeindruckend ist das im Fall der Assistenzsysteme, die den Fahrer wesentlich überzeugender als in allen bisherigen BMW-Modellen entlasten: So souverän und sicher hat sich die “Mitfahrt auf dem Fahrersitz” noch in keinem BMW angefühlt. Der Fahrer wird dabei vom aktiven Taktgeber zum passiven Aufpasser, der die Arbeit der Systeme mehr oder weniger aufmerksam überwacht. Beim Federungskomfort erinnert der iX an den noch etwas größeren X7, der nicht nur in Amerika bisher die erste Wahl für regelmäßige Langstreckenfahrer war.
Heißt das, dass man am Steuer des BMW iX keine Freude am Fahren erleben kann? Sicher nicht. Aber es kommt darauf an, was genau man darunter versteht. Wer im klassischen Sinne über Serpentinen und Pässe jagen will, findet im BMW iX ganz sicher nicht den passenden Begleiter. Zwar ist die Fahrdynamik gemessen am Gesamtgewicht von über 2,5 Tonnen erstaunlich, weil die ausgeglichene Gewichtsverteilung und der tiefe Schwerpunkt im Zusammenspiel mit Features wie der Hinterachs-Lenkung das Gewicht stellenweise gut kaschieren können, aber spätestens in engen Kurven kommen auch 275 Millimeter breite Reifen an ihre Grenzen. Der iX verhält sich dabei neutral und gutmütig, spart sich Untersteuern beinahe vollständig und rutscht im Grenzbereich über alle vier Räder, aber ein echter Fahrdynamiker mit wirklich mitteilsamer Lenkung ist er erwartungsgemäß nicht geworden. Passend dazu haben die Entwickler gleich ganz auf einen Knopf zum Deaktivieren des DSC verzichtet und auch über iDrive ist nur eine primär für den Wintereinsatz gemeinte Anfahrunterstützung aktivierbar, die im Wesentlichen dem DTC-Modus anderer BMW-Modelle entspricht.
Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass der BMW iX xDrive50 über einen extrem potenten und nachhaltig beeindruckenden Antrieb verfügt: Wer die 523 PS und 765 Newtonmeter Drehmoment zum Spielen auffordert, wird nur Sekundenbruchteile später mit einer ausgesprochen druckvollen Antwort versorgt. Die Werksangabe von 4,6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 lässt dabei lediglich erahnen, wie stark sich der Elektro-Antrieb in der Praxis anfühlt: Wenn das Elektro-SUV erst einmal rollt, ist die Beschleunigung nur noch brachial. Wer will, kann sich das Erlebnis von den Iconic Sounds Electric untermalen lassen und sich damit futuristische Raumfahrt-Klänge in den Innenraum holen. Besser erleben lässt sich das Potenzial des Bowers & Wilkins Soundsystems und seiner in die Kopfstützen integrierten Lautsprecher allerdings durch zur aktuellen Stimmung passende Musik, wobei Shaker in den Sitzen für ein besonders intensives Bass-Erlebnis sorgen.
Erstaunlich ist, wie effizient der BMW iX xDrive50 auf unserer Fahrt mit der gespeicherten Energie umgeht. Da sich die enorme Leistung der beiden E-Motoren im öffentlichen Straßenverkehr nur selten abrufen lässt und der iX bei so gut wie jeder Verzögerung Energie rekuperiert, sind über 450 Kilometer Praxis-Reichweite auch in der sportlichen Konfiguration unseres Testwagens absolut realistisch. Einen gar nicht so kleinen Beitrag hierzu leistet ganz unmerklich die Rekuperation “mit dem Bremspedal”: So lange man nicht voll in die Eisen geht, realisiert der iX auch mit dem Bremspedal geäußerte Verzögerungswünsche durch den Generatorbetrieb der E-Motoren. Je nach Fahrprofil und Intensität des eigenen Spieltriebs ist es so relativ einfach möglich, die WLTP-Reichweite zu übertreffen.
Über das nicht nur mit Lob quittierte Design des BMW iX machen sich die Verantwortlichen dabei keine Sorgen: Der iX soll ein Statement sein, er soll auffallen und soll genau wie der i3 klar als Elektroauto erkennbar sein. Er unterscheidet sich damit ganz bewusst von anderen aktuellen Elektroautos wie i4 und iX3, die sich optisch eng an ihre konventionell angetriebenen Basismodelle anlehnen. Der iX hingegen steht trotz seiner Abmessungen im X5-Format ein Stück außerhalb der gewohnten Nomenklatur, weil er genau wie der ursprüngliche i3 kein gewöhnlicher BMW sein will. Er verlässt hier und da das gewohnte Terrain und stellt lautlosen Langstrecken-Luxus ganz selbstverständlich über Kurvengier und Querdynamik. Das alles trägt er mit einer Ruhe und Gelassenheit vor, die auch den Fahrer und seine Mitfahrer entspannen kann – zumindest so lange, wie der Fahrer die 523 PS des BMW iX xDrive50 nicht unvermittelt von der Leine lässt und so das zweite Gesicht des Power-SUV zum Vorschein bringt.
Eine weitere Spielart des BMW iX-Designs zeigen die folgenden Fotos eines Fahrzeugs in Sophistograu:
(Fotos: BMW)