Ähnlich wie die Leistungsspirale bei Sportwagen schien es in den letzten Jahren auch für die Reichweite von Elektroautos nur noch eine Richtung zu geben: Ganz im Sinne des klassischen Höher, Schneller, Weiter und dem Streben nach immer neuen Superlativen wurden Elektroautos mit immer größeren Akkus für immer größere Aktionsradien vorgestellt. Ähnlich wie bei der Leistung von Sportwagen gibt es aber auch bei der Reichweite von Elektroautos einen Punkt, an dem “mehr” mit so vielen Nachteilen behaftet ist, dass es nicht mehr zwingend “besser” bedeutet. Diesen Punkt sieht BMW laut diversen Medien-Berichten der letzten Tage bei einer Elektro-Reichweite von 600 Kilometern – und erklärt damit angeblich den Ausstieg aus dem Rennen um immer höhere Reichweiten.
Wirklich ausgesprochen oder auch nur gemeint hat eine solche de-facto-Deckelung der Elektro-Reichweite aber niemand: Wie uns auf Nachfrage versichert wurde, bezogen sich entsprechende Aussagen wenn überhaupt auf die von aktuellen Neuheiten wie i4 und iX bedienten Segmente, nicht aber auf die komplette kommende Modellpalette. Gerade mit Blick auf das Luxus-Segment mit Kunden, die auch mit einem BMW i7 regelmäßig Langstrecken-Fahrten absolvieren wollen, werden 600 Kilometer gemäß WLTP sicher nicht das Ende der Fahnenstange bleiben.
Für den Volumen-Markt unterhalb der Luxusklasse sind 600 Kilometer allerdings auf absehbare Zeit durchaus eine sinnvolle Größenordnung: Für eine noch größere elektrische Reichweite müsste ein Elektroauto über einen noch größeren Energiespeicher verfügen, der noch mehr Platz benötigen würde und auch noch schwerer wäre. Die Frage ist nur: Wer braucht wie oft tatsächlich noch mehr Reichweite? Auch geübte Langstrecken-Fahrer müssen früher oder später aus biologischen Gründen Pausen machen – und können dabei an einer entsprechenden Ladesäule innerhalb weniger Minuten wieder viele Kilometer Reichweite “tanken”. Im Fall eines BMW iX xDrive50 sprechen wir hier schon heute von 150 Kilometern in 10 Minuten.
Im Vergleich zu einem konventionell angetriebenen Fahrzeug hat das Wettrüsten in Sachen Reichweite neben der Sinnfrage generell noch einen weiteren Nachteil: Während ein die meiste Zeit nur zum Teil genutzter Kraftstoff-Tank zwar Bauraum kostet, aber wenig Gewicht mit sich bringt, wiegt ein Lithium-Ionen-Akku unabhängig vom Ladezustand das gleiche. Während ein 1.000-Kilometer-Diesel also nur phasenweise das mit so viel Reichweite verbundene Gewicht schleppen muss, absolviert ein Elektroauto mit entsprechend großem Akku zwangsläufig jede einzelne Fahrt mit diesem Ballast.
Noch stärker als bei konventionell angetriebenen Fahrzeugen sollte sich daher jeder Kunde die Fragen stellen, welche Reichweite er wirklich benötigt und welche ständigen Nachteile er für selten genutzte Vorteile in Kauf nehmen will. Die Antworten darauf fallen naturgemäß je nach Art der Nutzung unterschiedlich aus – weshalb 600 Kilometer auch bei BMW nicht die Antwort auf alle Fragen sein wird.