727 Millionen Euro Strafe für Daimler, rund eine Milliarde Euro Strafe für Volkswagen, 373 Millionen Euro Strafe für BMW – das wäre das Ergebnis der AdBlue-Kartellvorwürfe, die Mercedes vor einigen Jahren durch eine Selbstanzeige bei den Kartellwächtern der EU ins Rollen brachte. Mit anderen Worten: Die größten Vorwürfe richtet die EU-Kommission ausgerechnet an diejenigen, die sich selbst angezeigt haben – und die nun von einer Kronzeugenregelung profitieren und deshalb im Fall Daimler straffrei ausgehen und im Fall VW zumindest 45 Prozent der Strafe erlassen bekommen. Der mit seinen Marken Audi, VW und Porsche zur sogenannten Fünfergruppe gehörende Volkswagen-Konzern hatte sich etwas später als Mercedes ebenfalls selbst angezeigt und soll nun 502 Millionen Euro zahlen. BMW ist sich bis heute praktisch keiner Schuld bewusst und hat sich folgerichtig nicht selbst angezeigt, will den Vergleich aber akzeptieren und das leidige Thema damit endlich abschließen. Zwischenzeitlich standen weitaus höhere Strafen im Raum, weshalb allein BMW eine Rückstellung über 1,4 Milliarden Euro gebildet hatte.
Die BMW Group hat schon in der Vergangenheit mit mehreren scharfen Kommentaren auf das Thema reagiert und dabei ihr Unverständnis zum Ausdruck gebracht. Dieses richtet sich nicht nur gegen die Kartellvorwürfe selbst, sondern ganz unverhohlen auch gegen die beteiligten Wettbewerber Audi, VW, Porsche und Mercedes. In der aktuellen Meldung legen die Münchner nochmals nach und erinnern ausdrücklich an die Verfehlungen der Rivalen im Zuge des Abgasskandals, die mit den aktuellen Kartellvorwürfen nichts zu tun haben, in die BMW nun aber zumindest in einigen verkürzten Kommentaren zum Thema mit hineingezogen wird: “Der Vorwurf einer unzulässigen Manipulation der Abgasreinigung stand und steht bei der BMW Group also nicht im Raum. Eine verminderte und gesetzeswidrige Abgasreinigung wurde von der BMW Group im Unterschied zu Wettbewerbern zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen.”
Von den Vorwürfen bezüglich illegaler Absprachen im Zusammenhang mit der Größe der AdBlue-Tanks bleibt nach den jahrelangen Ermittlungen praktisch nicht viel übrig: Die Absprachen haben keinem Verbraucher geschadet, hatten nie diese Intension und haben auch nichts mit illegal erhöhten Schadstoff-Emissionen zu tun. Da jedoch gerade im Bereich der Abgastechnik jede Form von Absprachen untersagt ist, stellen schon die Gespräche zwischen BMW, VW und Mercedes ein zu hohes Maß an Transparenz dar.
Ein weiterer Vorwurf der EU-Kommission zielt darauf, dass die Gespräche dem Streben nach einer bestmöglichen Abgasreinigung entgegengestanden haben könnten, schließlich hätte ein Wettbewerb unter den Anbietern zu einem noch deutlicheren Unterschreiten der gesetzlich geforderten Grenzwerte führen können. Dass die Autobauer im echten Leben auch daran interessiert sind, mit ihren Produkten möglichst hohe Gewinne zu erzielen und es daher geradezu absurd wäre, zusätzliche Technik für ein unnötig starkes Unterschreiten der ohnehin scharfen Grenzwerte zu verbauen, wird dabei der Einfachheit halber ausgeblendet.
BMW gibt an, dass die zu keinem Zeitpunkt bestrittenen und auch mit offiziellen Protokollen dokumentierten Gespräche im Fünferkreis in erster Linie dem möglichen Aufbau einer kundenfreundlichen Infrastruktur zum Nachfüllen von AdBlue-Tanks in den Fahrzeugen dienen sollten. Deshalb habe BMW die Gespräche oder ihre Inhalte auch nie verheimlicht, sondern aktiv mit den Verbänden ACEA und VDA sowie der Mineralölindustrie geteilt. Genau diese Transparenz ist es, die der BMW Group nun wettbewerbsrechtlich auf die Füße fallen soll – obwohl selbst die EU-Behörden nicht behaupten, dass es im Ergebnis zu einer wie auch immer gearteten Benachteiligung der Kunden hätte kommen sollen.
Das zeigt sich auch daran, dass die BMW Group ihre Fahrzeuge unabhängig von den Absprachen mit deutlich größeren AdBlue-Tanks ausgerüstet hat als ihre Wettbewerber: Gerade weil die Mineralölindustrie an ihren Tankstellen keine entsprechende Infrastruktur für die AdBlue-Betankung aufbauen wollte, entschied man sich in München für den teuren Sonderweg größerer Tanks. Dieses Vorgehen im Sinne der Kunden wird von der EU-Kommission anerkannt und ausdrücklich positiv erwähnt.
Dass die BMW Group nicht nur nach eigenem Ermessen, sondern auch nach Ansicht der EU-Kartellbehörden insgesamt weniger falsch gemacht hat als Mercedes und der Volkswagen-Konzern, zeigt schon die Höhe der Strafzahlungen deutlich. Unterm Strich muss sich BMW nun dennoch mit viel negativer Presse, die mitunter wesentliche Fakten unter den Tisch fallen lässt, und einer Strafzahlung in Höhe von 372,8 Millionen Euro auseinandersetzen. Unterdessen darf man sich in Stuttgart und Wolfsburg über wesentlich reduzierte Strafen freuen, obwohl die EU-Kommission die größeren und daher auch mit höheren Summen zu sanktionierenden Vergehen eindeutig bei Daimler und dem VW-Konzern sieht.
Die komplette Mitteilung der EU-Kommission gibt es hier.