Der Kauf eines neuen Autos ist für viele Menschen nicht nur eine emotionale Angelegenheit mit einem langen Weg zur finalen Entscheidung, sondern auch eine Phase mit großem Beratungs-Bedarf. Andere Kunden wollen sich mit dem Thema lieber nur so wenig wie möglich beschäftigen und möglichst schnell einen guten Preis bekommen. BMW will künftig beide Kunden-Gruppen noch zielgerichteter ansprechen und hat bereits offiziell angekündigt, dass schon 2025 rund 25 Prozent der Verkäufe auf rein-digitalem Weg abgewickelt werden sollen – und damit ohne persönlichen Kontakt zu einem Verkäufer aus Fleisch und Blut. Die Frage hinter dem Online-Experiment ist also die, ob der Auto-Kauf eigentlich einen Verkäufer oder eine Verkäuferin braucht oder von der Couch aus genauso gut und zufriedenstellend gelingen kann.
Relativ klar ist dabei schon jetzt, dass es keine universale Antwort für alle Kundengruppen geben kann: Dienstwagen-Käufer entscheiden sich nach anderen Prämissen als Privatkunden, auch je nach Fahrzeugklasse und Motorisierung unterscheiden sich die Wünsche und Vorstellungen der Käufer deutlich. Kein Zweifel: Ein M3-Kunde will und muss anders angesprochen werden als der Käufer eines 118d, für einen potenziellen 8er-Käufer sind andere Fragen entscheidend als für einen X3-Interessenten und so weiter und so fort. Können diese unterschiedlichen Anforderungen von einem Online-Vertriebs-System ähnlich gut abgedeckt werden wie von einem erfahrenen Verkäufer – oder vielleicht sogar besser?
Fragen wie diese beschäftigen nicht nur die Entscheider in München, sondern auch die BMW-Verkäufer in ganz Deutschland. Erlebt die Auto-Branche in den nächsten Jahren eine ähnliche Entwicklung wie der Buchhandel, der sich innerhalb weniger Jahre völlig verändert hat? Lässt sich die Entwicklung überhaupt bremsen oder werden hochpreisige Produkte bis hin zum Premium-Automobil in ein paar Jahren ebenso selbstverständlich online gekauft wie heute schon Elektro-Geräte aller Größen? Führen die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie auch mittel- und langfristig dazu, dass mehr Menschen auf so viele physische Kontakte wie möglich verzichten wollen – oder führen sie zu einer Rückbesinnung auf die Vorteile menschlichen Kontakts, der vielen Menschen seit Monaten fehlt?
Die beiden ersten großen Test-Ballons für den BMW Online-Vertrieb sollen die Elektroautos i4 und iX sein. Beide feiern noch 2021 ihren Marktstart und sollen nicht nur mit Hilfe des Verkäufer-Teams im Autohaus gekauft werden können, sondern auch online. Wie BMW das Online-Shopping umsetzt, wie groß das Interesse daran ist und wie viele Kunden am Ende wirklich komplett auf das Gespräch mit dem Verkäufer vor Ort verzichten, dürfte auch außerhalb der BMW-Welt mit großem Interesse verfolgt werden. Denn falls der Online-Ansatz funktioniert und dazu führt, dass bis 2025 wirklich ein Viertel der Verkäufe ohne Verkäufer abgewickelt werden, wird das Modell auch für alle anderen Autobauer zu einer wichtigen Option.
Die Frage nach dem richtigen Maß menschlicher Betreuung und emotionaler Bindung beim Kauf eines Produkts könnte sich dabei durchaus auch entlang von Altersgrenzen beantworten: Während es für viele Menschen noch vor wenigen Jahren eine ungewohnte Vorstellung war, Produkte ohne Besuch bei einem lokalen Händler online zu kaufen, geht es manchen jungen Erwachsenen heute umgekehrt – für sie ist es eher seltsam, ein Buch im Buchladen und nicht beim Online-Versandhändler zu bestellen. Wird es eines Tages auch beim Autokauf völlig normal sein, im heimischen Wohnzimmer mit Tablet oder Smartphone in der Hand auf den Kaufen-Button zu drücken?
Die BMW Group möchte bei diesen Entwicklungen jedenfalls nicht passiv zusehen, wie potenzielle Kunden aus Bequemlichkeit bei einem Wettbewerber kaufen, sondern den Wandel aktiv forcieren und mitgestalten. Wir dürfen schon jetzt gespannt sein, wie überzeugend den Münchnern die Online-Umsetzung gelingt und wie sich diese auch im Wettbewerb mit automobilen Schnäppchen-Börsen schlägt. Sicher ist schon jetzt: Durch die neue Vertriebs-Strategie der BMW Group dürfte einiger frischer Wind in den Autohandel kommen. Wer am Ende auf der Gewinner- oder Verlierer-Seite steht, kann nur die Zukunft zeigen.