Wenn die Macher des Rolls-Royce Ghost die Neuauflage der Mercedes-Maybach S-Klasse sehen, dürften sie gespannt in Richtung der eigenen Marktforscher blicken. Denn während man in Goodwood glaubt, dass sich die Interessen der wohlhabenden Kunden unter dem Schlagwort “Post Opulence” zusammenfassen lassen und eher in Richtung Understatement auf hohem Niveau gehen, wird Opulenz von der neuen Maybach S-Klasse geradezu zelebriert. Nicht nur die zweifarbige Lackierung, auch die großzügig verchromte Front steht unübersehbar für den Versuch, sich von der “gewöhnlichen” S-Klasse abzugrenzen und in jeder Hinsicht noch etwas dicker aufzutragen. 18 Zentimeter mehr Radstand sind dabei offensichtlich nicht genug.
Die Macher des neuen Maybach stehen hier vor einer Herausforderung: Einerseits möchte ein Großteil der Kunden zeigen, dass hier eben keine “gewöhnliche S-Klasse” unterwegs ist, schließlich kann die Maybach-Version problemlos das Doppelte oder gar das Dreifache einer S-Klasse kosten. Andererseits droht bei so viel Chrom durchaus die Gefahr der Übertreibung und die Entstehung des Eindrucks, dass allein “mehr Chrom” hier zum Sinnbild für “mehr Luxus” werden soll und man folglich gar nicht genug Chrom tragen kann. Ob die Stuttgarter Rechnung aufgeht, kann letztlich nur die Kundschaft entscheiden – und die ist zum weit überwiegenden Teil in China ansässig, auf europäische Interessen und Vorlieben mussten die Designer der Schwaben also so gut wie keine Rücksicht nehmen.
Dass die Mercedes-Maybach S-Klasse neben einem opulenten Auftritt auch technisch viel zu bieten hat, steht dabei nicht zur Debatte. Im Vergleich zur S-Klasse Langversion tritt der Maybach mit nochmals 18 Zentimeter mehr Radstand an, fürstliche Platzverhältnisse im Fond sind die logische Konsequenz. Der Fokus auf die Fond-Passagiere zeigt sich auch an den Sitzen, die über noch umfassendere Massage-Funktion verfügen und mit einer Lehnenneigung zwischen 19 und 43,5 Grad an so gut wie jeden Bedarf angepasst werden können. Luxus-Features wie elektrisch betriebene und daher auch aus der Ferne vom Chauffeur zu bedienende Fond-Türen, ein Kühlfach in der Fond-Armlehne und feinste Materialien sind in der Preisklasse eines Maybach annähernd selbstverständlich.
Um die Geräusche im Innenraum noch angenehmer zu gestalten, rollt die Mercedes-Maybach S-Klasse genau wie aktuelle Rolls-Royce-Modelle optional auf sogenannten Flüster-Reifen, die mit integrierten Schaumabsorbern ausgestattet sind. Außerdem gibt es erstmals bei Daimler eine aktive Fahrgeräuschkompensation, bei der unangenehmen Geräuschen mit gegenphasigen Schallwellen entgegengewirkt wird.
Die große Mehrheit der Kunden wird den Komfort der extralangen S-Klasse in China genießen: 2019 verkauften die Stuttgarter jeden Monat rund 700 Maybach pro Monat an chinesische Kunden. Und während große Stückzahlen in vielen anderen Segmenten für ultimativen Erfolg stehen, haben sie am obersten Ende der automobilen Nahrungskette auch eine Schattenseite: In Sachen Exklusivität bleibt der Maybach weit hinter jedem Rolls-Royce zurück.
(Fotos: Daimler)