Kontroverse Diskussionen um das Design neuer Modelle ist man in München gewohnt, aber kaum ein Modell hat dabei so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie das neue BMW 4er Coupé G22. Und während die Diskussionen manchmal überraschend kamen, sind sie im Fall des 4ers das Ergebnis einer ganz bewussten Provokation: Wie kaum ein anderer BMW richtet sich die Mittelklasse-Baureihe an extrovertierte Kunden, die mit ihrem Auto ein Statement setzen und auffallen wollen. Mit einem konventionellen Design wie beim 3er – oder auch beim Vorgänger – wäre das kaum möglich. Für unseren ersten Fahrbericht mit dem enttarnten 4er haben wir uns nun das vorläufige Topmodell BMW M440i genauer angesehen.
Der radikale Kurswechsel beim Design entpuppt sich dabei als eine von mehreren großen Veränderungen, die eine beim Vorgänger gerne gestellte Frage plötzlich beinahe absurd erscheinen lassen: Ist das nicht nur ein 3er mit zwei Türen weniger? Die Antwort kann man deshalb gleich vorwegnehmen: Nein, das neue BMW 4er Coupé hat sich seinen eigenständigen Namen von A bis Z verdient. Das liegt nicht nur am grundlegend veränderten Design, das aus keiner Perspektive auch nur an den 3er erinnert. Es liegt auch am deutlich weiterentwickelten Technik-Paket, das den 3er nicht nur unter sportlichen Gesichtspunkten weit übertrifft.
Für das Plus an Sportlichkeit haben die Entwickler dem BMW 4er G22 eine wahre Flut von zusätzlichen Streben verpasst, die der Karosserie spürbar mehr Steifigkeit verleihen. Dazu kommen eine breitere Spur an der Hinterachse, knapp sechs Zentimeter weniger Höhe und ein unterm Strich über zwei Zentimeter näher am Asphalt befindlicher Schwerpunkt. Gemeinsam mit den deutlich verbesserten Aerodynamik-Eigenschaften legt die steifere Karosserie den Grundstein dafür, dass die Fahrwerks-Experten mehr Freiheiten genossen haben als beim 3er.
Im Ergebnis liegt praktisch kein Stein mehr auf dem anderen: Erheblich mehr Sturz an der Vorderachse, eine spezifische Abstimmung jedes einzelnen Dämpfers und jeder Feder sowie die präzise auf das überlegene Fahrwerks-Paket abgestimmte Lenkung machen den Dynamik-Anspruch des 4ers in jeder Kurve klarer erlebbar als beim Vorgänger. Dass man dabei 20 Millimeter tiefer sitzt als im 3er, schadet der subjektiv empfundenen Sportlichkeit ganz sicher ebenfalls nicht.
Keine Überraschung ist, dass der erste BMW M440i im Vergleich zum regulären 4er noch einige zusätzliche Spaßbringer an Bord hat. Neben dem um ein 48-Volt-Bordnetz samt 8 kW starkem Startergenerator ergänzten Antrieb aus dem M340i zählen hierzu in erster Linie der besonders hecklastig abgestimmte Allradantrieb xDrive, ein mechanisches Sperrdifferenzial an der Hinterachse, die noch etwas straffere Dämpfung sowie eine eigenständige Kinematik und Elastokinematik mit weiter gesteigerten Sturzwerten.
Ein weiteres völlig neues Feature, das zunächst nur für den BMW M440i sowie Modelle mit M Sport Pro-Paket verfügbar ist, ist der Sprint-Modus. Hierbei handelt es sich um eine neue Möglichkeit, das Fahrzeug von einer Sekunde auf die andere in Richtung maximaler Beschleunigung zu trimmen: Um den Sprint-Modus zu aktivieren, genügt ein langer Zug an der linken Schaltwippe – sofort wechselt die Achtgang-Automatik in den niedrigstmöglichen Gang und auch Fahrwerk, Lenkung und Gaspedalkennlinie werden in den Sportmodus versetzt.
Wer also spontan den Drang nach voller Performance verspürt, muss dank Sprint-Modus nicht länger eine Hand vom Lenkrad nehmen und in den Sport-Modus wechseln, er kann auch einfach für eine Sekunde am linken Schalt-Paddle ziehen. Anders als im regulären Sport-Modus bleiben die Einstellungen nur für kurze Zeit derart aggressiv: Erfolgt auf die Aktivierung des Sprint-Modes keine sportliche Beschleunigung, wechselt das System nach einigen Sekunden in den zuvor genutzten Fahrmodus zurück und auch das Getriebe schaltet wieder ein paar Gänge hoch.
Nötig hat der BMW M440i den Sprintmodus allerdings nur selten, denn der 374 PS starke Reihensechszylinder stellt auch im Comfort-Modus jederzeit genügend Leistung zur Verfügung. Im Vergleich zum M340i soll das Triebwerk dank 48-Volt-Bordnetz noch etwas spontaner ansprechen, wirklich erfahren lässt sich dieser Unterschied aber höchstens im direkten Vergleich beider Antriebe. Denn klar ist: Auch ohne 48-Volt-Bordnetz geht der B58 alles andere als träge zu Werke. Und mit der stark hecklastigen Kraftverteilung hat man spätestens im Sport Plus-Modus mit aktiviertem DTC nie das Gefühl, dass den Hinterrädern langweilig werden könnte.
Seine Assistenzsysteme teilt sich der 4er mit dem 3er
Stattdessen kitzelt der BMW M440i xDrive permanent an der hoch angesiedelten Traktionsgrenze und fährt sich dabei so agil wie ein Hecktriebler – sieht man einmal davon ab, dass der fahrerische Anspruch dank vollvariabler Kraftverteilung und den dadurch vorhandenen Sicherheitsreserven etwas weniger hoch angesiedelt ist. Wer angesichts der deutlich steiferen Karosserie relevante Komfort-Einbußen erwartet, täuscht sich übrigens: Auch der 4er kann im Comfort-Modus angenehm abrollen und wird auf Knopfdruck zum angenehmen Langstrecken-Gleiter.
Ob das Rezept der Verantwortlichen aufgeht und die maximale Differenzierung zum 3er zusätzliche Kunden für den 4er begeistert, werden die Verkaufszahlen schon bald zeigen. Die Devise ist jedenfalls klar: Die von der ersten 4er-Generation erreichte Absatz-Marke von fast 800.000 Einheiten soll vom Nachfolger nochmals übertroffen werden. Dass dazu neben dem Coupé auch das neuerdings mit Stoffdach ausgerüstete 4er Cabrio G23 und vor allem das neue 4er Gran Coupé G26 einen Beitrag leisten müssen, liegt auf der Hand. Sicher ist schon jetzt: Wie das kontroverse Design samt der ausgesprochen markanten Niere bei der Zielgruppe ankommt, werden neben den Analysten in München auch diverse Kritiker gespannt verfolgen.