Beim neuen BMW 4er Coupé richtet sich die Aufmerksamkeit bisher vor allem auf das Design. Nun durften wir für einen Vorab-Fahrbericht ans Steuer mehrerer Prototypen und konnten uns so ein Bild davon machen, was die zweite Generation des Mittelklasse-Coupés außer großen Nieren noch zu bieten hat. Denn die bisher meistdiskutierte Frage rund um den BMW 4er G22 ist längst zur Gewissheit geworden: Ja, mit der zweiten Generation bringen die Münchner ein völlig neues Nieren-Design in Serie, das den 4er deutlich klarer als bisher vom technisch eng verwandten 3er abgrenzt.
Das kontroverse Design ist aber längst nicht der einzige Aspekt, mit dem sich das neue BMW 4er Coupé von der 3er Limousine abgrenzen will. Hinter der selbstbewussten Front, die derzeit noch unter einiger Tarnung verborgen ist, steckt ein gründlich überarbeitetes Technik-Paket mit einigen Zutaten für spür- und messbar mehr Fahrdynamik. Was die Entwickler warum getan haben und wie sich das neue Gesamtpaket am Steuer anfühlt, durften wir schon jetzt auf den Landstraßen rund um Garching erfahren.
Welche hohen Ziele die Fahrwerks-Experten rund um Jos van As hatten, zeigt schon der interne Arbeitstitel für den BMW 4er G22: Das Coupé wird intern “Das Skalpell” genannt. Das für seine Schärfe, vor allem aber für die sprichwörtliche chirurgische Präzision bekannte Instrument steht stellvertretend für den Anspruch der Entwickler – das BMW 4er Coupé soll den Wünschen eines geübten Fahrers ebenso exakt folgen wie das Skalpell in der Hand eines erfahrenen Chirurgen.
Um sich diesem Ideal zu nähern, musste intern viel Überzeugungsarbeit geleistet werden: Wer viel Fahrdynamik bieten will, muss auch viel Geld in die Hand nehmen. Zum Glück für alle Fahrdynamiker konnte sich Projektleiter David Ferrofino mit seinen Wünschen durchsetzen und so eine ganze Reihe von technischen Unterschieden realisieren, die den BMW 4er G22 auf ein noch höheres Niveau als den aktuellen 3er heben. Den größten und wichtigsten Beitrag liefert dabei die Karosserie-Steifigkeit, für die eine ganze Reihe zusätzlicher Streben zu einem wirksamen Schubfeld im Vorderwagen zusammengesetzt wurden:
Wie die Grafik zeigt, ist die steifere Karosserie aber nur der Anfang: Mit deutlich breiterer Spur an der angetriebenen Hinterachse, mehr Sturz an der Vorderachse und einer spezifischen Abstimmung von Dämpfern und Lenkung konnten die Fahrwerks-Entwickler an so gut wie jeder relevanten Stellschraube drehen. Physikalische Unterstützung haben sie von der Tatsache erhalten, dass der Schwerpunkt des im Vergleich zur Limousine fast sechs Zentimeter flacheren Coupés 21 Millimeter tiefer liegt.
Um das Mehrgewicht der zusätzlichen Versteifungsmaßnahmen auszugleichen und die optimale Gewichtsverteilung von 50 zu 50 Prozent halten zu können, hat das BMW 4er Coupé zudem einige Leichtbau-Maßnahmen im Vorderwagen erhalten: Motorhaube, Kotflügel und Türen sind im Gegensatz zum 3er komplett aus Aluminium gefertigt. An anderen Stellen bringen mehrphasige und höherfeste Stähle ohne spürbares Mehrgewicht noch mehr Steifigkeit in die Karosserie.
Doch für eine Theorie-Stunde sind wir nicht nach Garching gekommen, wir wollen wissen wie sich das nachgeschärfte Gesamtpaket fährt. Dafür geht es zunächst ans Steuer eines BMW 430i G22 mit Hinterradantrieb, konventionellem M Sportfahrwerk ohne adaptive Dämpfer und mit optionalem Sperrdifferenzial an der Hinterachse. Der aus dem 330i G20 bekannte Vierzylinder-Antrieb überzeugt auch im 4er mit seinem viel früher als bisher anliegenden Drehmoment, doch für diese Gedanken bleibt heute nicht viel Zeit: Es gilt, am Heck des als Pacecar eingesetzten Z4 M40i vor uns zu bleiben!
Als asphaltierter Spielplatz dienen die in diesen Tagen kaum befahrenen Landstraßen der bayerischen Hopfenanbaugebiete: Langgezogene, schnelle Kurven finden sich dabei ebenso wie enge Wechselkurven in den Wäldern. Für die Fahrwerks-Entwickler mindestens ebenso wichtig sind die unterschiedlichen Asphalt-Qualitäten: Teilweise präsentiert sich die Fahrbahn im Bilderbuch-Zustand, nur um Federn und Dämpfer wenige Meter weiter mit Aufbrüchen und Schlaglöchern herauszufordern.
Am Steuer bleibt nach einigen Kilometern nahe am Limit vor allem das Staunen darüber zurück, wie mühelos man mit dem neuen BMW 4er schnell fahren kann. Die Steifigkeit des Coupés führt zu einer für Nicht-M-Modelle ungekannt direkten Umsetzung jedes Lenkbefehls, wobei die guten Gene der 3er-Reihe immer wieder durchschimmern. Klar, ein völlig anderes Fahrverhalten bietet der 4er auch in seiner zweiten Generation nicht, aber er macht genau dort noch ein paar Schritte weiter, wo der 3er langsam aber sicher die Segel streicht.
Weil der Dynamik-Gewinn nicht durch zusätzliche Härte erkauft wird, spürt man einen Teil des zusätzlichen Potenzials erst bei sehr hohen Kurvengeschwindigkeiten. Wo manch anderer mit übertriebener Härte Sportlichkeit suggeriert, behält der BMW 4er stets die guten Manieren eines 3ers – und das dank hubabhängiger Dämpfer auch ohne adaptives Fahrwerk. Und obwohl der Turbo-Vierzylinder spätestens ab mittleren Drehzahlen kräftig anschiebt, kennt der neue 430i dank optionalem Sperrdifferenzial praktisch keine Traktionsprobleme.
Dass es immer noch eine ganze Spur schärfer geht, zeigt sich nach dem Wechsel in den BMW M440i. Das vorläufige Topmodell der neuen 4er-Reihe hat nicht nur den grundsätzlich hecklastig abgestimmten, dabei aber vollvariablen Allradantrieb xDrive an Bord – es kommt Ende des Jahres auch als erster BMW-Benziner mit 48-Volt-Bordnetz auf den Markt. Im Vergleich zum 430i kommt so ein stattliches Mehrgewicht zusammen, dass sich aus größerem Motor, zusätzlicher Antriebstechnik für die Vorderräder und knapp über 30 Kilogramm für das 48-Volt-Bordnetz zusammensetzt.
Wer vor diesem Hintergrund eine spürbar schlechtere Agilität erwartet, wird diese nur nach einem direkten Umstieg von einem ins andere Modell erleben können. Denn für sich betrachtet brennt der BMW M440i das erhoffte Feuerwerk ab: Die vom M340i bekannte Allrad-Abstimmung, die sich spätestens bei aktiviertem Sport Plus-Modus und DTC-Modus Traction eher wie ein traktionsstarker Hinterradantrieb anfühlt, kann in Verbindung mit dem tieferen Schwerpunkt und der merklich steiferen Karosserie noch beeindruckender aufspielen und hat mit dem dank 48-Volt-Bordnetz noch etwas spontaner ansprechenden Antrieb einen kongenialen Partner zur Seite.
Zwar konnte man dem Reihensechszylinder B58 nie ein echtes Turboloch unterstellen, aber wer es bisher wahrnehmen wollte, wird es dank der permanent anliegenden Kraft des 48-Volt-Startergenerators nun noch länger suchen müssen. In Summe ergibt sich ein Fahrverhalten, dass die Qualitäten eines Sportlers überzeugend mit denen eines klassischen GT vereint: Je nach Stimmung und Fahrmodus kann man am Steuer des 4ers entweder von Kurve zu Kurve jagen oder auf längeren Strecken souverän und komfortabel reisen.
So gesehen bietet das neue BMW 4er Coupé sogar mehr als ein gutes Skalpell, denn dessen Schärfe lässt schon nach wenigen Schnitten spürbar nach und verlangt nach einer neuen Klinge. Und wer sich weiterhin primär für das Design interessiert, muss sich ebenfalls nicht mehr lange gedulden: Wie das sportliche 3er-Derivat zum Marktstart im vierten Quartal aussehen wird, wollen die Münchner im Frühsommer enthüllen.