Zugegeben: Wenn man vor einem automobilen Koloss wie dem BMW X5 M F95 steht, ist Agilität nicht unbedingt der erste Gedanke. Das Power-SUV ist in seiner dritten Generation noch selbstbewusster geworden und eine derart imposante Erscheinung, dass man als Europäer beinahe unwillkürlich einen Schritt nach hinten geht. Dass 2,3 Tonnen nicht zwingend ein Grund für Trägheit sind, konnte aber schon der Vorgänger eindrucksvoll beweisen – und mit der Neuauflage soll die Performance des Vorgängers noch einmal klar übertroffen werden.
Damit der auf den ersten Blick auch weiterhin unmögliche Spagat zwischen hoher Masse auf der einen und souveräner Leichtigkeit auf der anderen Seite gelingen kann, haben sich die Techniker in Garching keine Ruhepause auf den eigenen Lorbeeren gegönnt. Zwar zählte der Vorgänger bis zuletzt zu den Dynamik-Benchmarks im Segment der Power-SUV, aber Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt und natürlich erwarten auch die Kunden immer wieder spürbare Weiterentwicklungen.
Fahrbericht BMW X5 M 2020: Wenn die Physik kurz Pause macht
Dass die Premiere des BMW X5 M in den USA stattfindet, ist aus mehreren Gründen kein Zufall. Einerseits wird der X5 in Spartanburg gebaut und nirgendwo sonst werden derart viele Exemplare des Power-SUV verkauft, aber vor allem fühlt sich der X5 M auch nirgendwo so zu Hause. Pickups und SUV sind hier völlig normal, ein Cadillac Escalade ist ein ebenso gewöhnlicher Anblick wie ein BMW X3 in Deutschland – und auch ein markantes Fahrzeug wie der BMW X5 M, dessen Design aus deutscher Sicht nicht gerade für Understatement steht, fällt mitten in Amerika nicht weiter auf.
Unbestreitbar auffällig ist jedoch, was sich auf dem Fahrersitz erleben lässt. Die Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Erleben könnte schärfer kaum sein, denn die im Hinterkopf abgelegten Abmessungen und die hohe Sitzposition wollen zunächst überhaupt nicht zum Fahrerlebnis passen. Zwar hat man längst abgespeichert, dass auch große Fahrzeuge eine erstaunliche Dynamik an den Tag legen können. Aber wer das Einlenken in Kurven aller Art und die schiere Power beim Herausbeschleunigen auf sich wirken lässt, kann es dennoch kaum mit herkömmlichem Physik-Verständnis vereinbaren.
Gab es da nicht so etwas wie Massenträgheit und Wankbewegungen, gerade in Verbindung mit hohem Schwerpunkt? Mag schon sein, aber der BMW X5 M scheint sich für derart hinderliche physikalische Regeln nicht sonderlich zu interessieren. Natürlich behalten die Gesetze ihre Gültigkeit und selbstverständlich ist der große X5 nicht ganz so hungrig auf Kurven wie der über 400 Kilogramm leichtere M5. Aber wer glaubt, im größten M-Modell einen eher ruhigen Tag verbringen zu müssen, hat das versammelte Technik-Feuerwerk noch nie wirklich zur Entfaltung gebracht.
Die mit unzähligen Streben massiv versteifte Karosserie, die Aktive Wankstabilisierung, das Aktive M Differenzial als Krönung des vollvariablen und ausgesprochen hecklastigen Allradantriebs M xDrive – was nach viel Theorie zum Kaschieren eines unkaschierbaren Problems klingt, zaubert in Kombination mit den zusammen über 1,20 Meter breiten Sportreifen eine Traktion auf den Asphalt, die nicht erst im Track-Modus in jeder Kurve aufs Neue für Erstaunen sorgt. Ob dieses Fahrzeug das M mit Recht trägt? Aber Hallo!
So kommt es, dass man den BMW X5 M auf öffentlichen Straßen so gut wie nie aus der Ruhe bringen kann. Selbst wenn man das SUV mit scheinbar viel zu hoher Geschwindigkeit in die nächste Kurve wirft, folgt der mächtige Vorderwagen stoisch den Vorgaben seines Fahrers. Fast scheint es, als würde der X5 nur müde lächeln, während er die gedachte Herausforderung ohne mit der Wimper zu zucken absolviert. Erst in sehr engen Kurven zeigt die Physik schließlich, dass ihre Gesetze für alle gelten.
Zeit zum Einsaugen dieses Eindrucks bleibt aber nur, wenn sich der rechte Fuß aus Respekt vor der Gewalt des V8-Biturbo nicht bis zum Bodenblech absenkt. Anderenfalls machen 625 PS und bis zu 750 Newtonmeter kurzen Prozess mit dem Gewicht des X5: Wenn sich mehr als 2,3 Tonnen innerhalb von 3,8 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h katapultieren, taucht im Hinterkopf automatisch wieder die Frage nach der Gültigkeit physikalischer Gesetze auf.
Andere Fahren noch schneller durch Kurven? Mag sein, aber auf diesem Niveau ist es eher eine Frage des fahrerischen Könnens als des Autos. Und natürlich erhält man im Gegenzug für das hohe Gewicht auch einen imposanten Gegenwert in Form von erstaunlich viel Alltagstauglichkeit. Fast 1.900 Liter Kofferraum-Volumen, fein perforiertes Merino-Leder für klimatisierte Sitze mit Massagefunktion – auch diese Seite zeigt der Top-X5. Dass es das adaptive Fahrwerk im Comfort-Modus auch relativ sanft angehen lassen kann, rundet die Allrounder-Qualitäten des leider auch 141.400 Euro teuren Gesamtpakets ab.