Ich hab’s genau gesehen! Gerade eben, im Rückspiegel! Erst den skeptischen Blick, dann das abschätzige Kopfschütteln und Naserümpfen des Radfahrers, der da am frühen Samstagmorgen so angestrengt über die Ludwigsbrücke radelt. SUV-Shaming in der Münchner Innenstadt. Aber sorry mein Freund, hier trifft’s heute wirklich den falschen. Zugegeben, mit seinem xLine Paket und den schwarzen 21-Zöllern kommt unser alpinweißer BMW X5 xDrive45e schon recht rustikal daher – doch der Schein trügt gründlich. Denn unterm burgigen Blech steckt die Zukunft: modernste Technik, um Sprit und Emissionen zu sparen.
Den ersten Plug-in-Hybriden hing ja nicht ganz zu Unrecht der Ruf nach, die Umwelt vor allen Dingen auf dem Papier zu schonen. In der Praxis trafen dann überschaubare elektrische Reichweiten von nur gut 20 Kilometern auf kleine Turbobenziner, die schon bald auf das Zusatzgewicht ihrer leergefahrenen Batterien aufmerksam machten – durch einen amtlichen Bedarf nach Fossilem. Das soll der neue BMW X5 Plug-in-Hybrid nun deutlich besser können. Der Nachfolger des ersten Plug-in-X5 xDrive40e (F15), der von 2015 bis 2018 produziert wurde, folgt dabei einem einfachen Rezept: Mehr bringt weniger. Und das funktioniert wie folgt.
Anstelle des Vierzylinders mit zwei Liter Hubraum trägt der neue BMW X5 xDrive45e den bekannten 3,0-Liter-Sechszylinder B58 mit Twinscroll-Turbolader unter der Motorhaube, der für sich genommen 286 PS und 450 Nm Drehmoment mobilisiert. Auf der Elektroseite sorgt parallel ein in die Achtgang-Automatik integrierter Synchron-Elektromotor mit 113 PS und 265 Nm für Vortrieb. Im Zusammenspiel ergibt sich so eine beachtliche Systemleistung von 394 PS und 600 Nm, die den BMW X5 Plug-in Hybrid über alle vier Räder in 5,6 Sekunden auf Landstraßentempo beschleunigen soll. Zum Vergleich: der Vorgänger musste sich mit 313 PS begnügen und war im Standardsprint 1,2 Sekunden langsamer – geschenkt.
Deutlich wichtiger als die reine Leistung ist nämlich die Batteriekapazität. Und da legt der neue xDrive45e massiv zu. Unter dem Fahrzeugboden ist ein neues Lithium-Ionen-Akkupaket mit einem Brutto-Energiegehalt von 24 kWh positioniert – die größte Batterie aller BMW Plug-in Hybride. Voll aufgeladen soll der X5 auf diese Weise gemäß dem realistischen WLTP-Prüfzyklus zwischen 67 und 87 Kilometer mit einer Höchstgeschwindigkeit von maximal 135 km/h rein elektrisch und somit lokal emissionsfrei zurücklegen können. Das reicht mindestens für den täglichen Weg zur Arbeit oder für einen Wochenendausflug zum Tegernsee. Aber der Reihe nach.
Denn Gewicht und Größe des Riesenakkus bleiben natürlich selbst in einem BMW X5 nicht unbemerkt. Der neue Plug-in-Hybrid bringt laut Werksangaben satte 2,5 Tonnen auf die Waage und ist damit 375 Kilogramm schwerer als ein X5 xDrive40i. Immerhin: Der Kofferraum wird durch den Hochvoltspeicher kaum eingeschränkt. 500 bis 1720 Liter stehen im BMW X5 xDrive45e zur Verfügung, nur etwa 150 Liter weniger als bei den konventionellen Varianten. Lohn der Bemühungen ist dafür ein kombinierter Durchschnittsverbrauch von gerade einmal 1,7 bis 2,0 Liter Super gemäß WLTP – wo wir beim “weniger” angelangt wären.
BMW X5 xDrive45e: Bis zu 87 Kilometer E-Reichweite
Wir lassen auf der Ludwigsbrücke noch ein paar Radfahrern den Vorrang und starten schließlich unseren Ausflug in Richtung Tegernsee. Dass sich ein X5 mit elektrogeboosteten 394 PS ziemlich vehement vom Fleck bewegen lässt, kann man sich vorstellen. Und so widerstehen wir dem gewohnten Griff in Richtung Sporttaste, setzen den Durchschnittsverbrauch zurück und überlassen lieber dem Adaptive-Modus und seinem intelligenten Energiemanagement die Krafteinteilung. Nicht falsch verstehen, wir haben hier keinen Verbrauchstest mit minimalem Druck aufs Gaspedal und Tempo 90 hinter LKWs im Sinn. Wir wollen einfach nur fahren – und schauen, was passiert.
Bis zur Stadtgrenze geht es im BMW X5 xDrive45e dank Navi-Vernetzung rein elektrisch voran. Erst als wir nach ein paar Baustellen so richtig auf der A8 in Richtung Salzburg angelangt sind, schaltet sich kaum merklich der Benziner hinzu. Man muss schon genau hinhören um das dezente Brummen des Sechszylinders aus dem Motorraum wahrzunehmen. Übergangs-Rucke oder Unterbrechungen im Kraftfluss sind dem X5 ohnehin völlig fremd. Alles wirkt souverän, ausgereift und gelassen – nicht zuletzt auch der Federungskomfort.
Ab Werk steht der X5 Plug-in-Hybrid auf der Zweiachs-Luftfederung mit adaptiven Dämpfern, die trotz des höheren Fahrzeuggewichts gewohnt sensibel auf Unebenheiten reagiert. Ohnehin machen sich die zusätzlichen Kilos diesseits des Grenzbereiches kaum bemerkbar. Auch als wir die Autobahn in Richtung Landstraße verlassen, gibt sich der integral-aktivgelenkte Testwagen kaum weniger leichtfüßig als andere X5, was nicht zuletzt auch mit dem niedrigen Schwerpunkt der Unterflur-Akkus zutun haben dürfte.
Wir lassen uns im Strom der übrigen Wochenendurlauber durchs sonnige Voralpenland tragen und genießen die souveräne Ruhe des zweimotorigen Antriebsstrangs. Nach ein paar Foto-Stopps erreichen wir den Tegernsee. Sehr viel mehr als ein schnelles Beweisbild lässt unser Zeitplan allerdings nicht zu – am frühen Nachmittag erwartet uns an der BMW Welt die erste Testfahrt mit dem BMW X6 M50i. Und so programmieren wir fix das Navi um (“Hey BMW, führe mich zur BMW-Welt nach München”) und machen uns auf den Rückweg.
Im vorausschauenden Hybridbetrieb vernetzt sich der Antrieb mit dem Navigationssystem und berechnet ganz automatisch die sinnvollste Energieeinteilung. So nutzt der BMW X5 xDrive45e zur Beschleunigung auf der Landstraße beide Motoren, segelt elektrisch dahin und schaltet in Ortschaften entlang der Strecke in den reinen E-Modus, um schließlich, zurück in der Stadt, seine letzten 20 Kilometer Elektro-Reichweite auf dem Mittleren Ring in den Asphalt zu hauchen. Das volle Potenzial der adaptiven Rekuperation spielt der X5 dabei im Hybrid ECO Pro Modus aus. Je nach Fahrsituation entscheidet das System, ob der Plug-in-Hybrid segelt oder die Energierückgewinnung nutzt.
An der BMW-Welt stecken wir den Testwagen an eine der ChargeNow-Ladesäulen und werfen einen Blick auf die Bilanz: Mit ein paar Foto-Abstechern am Morgen haben wir knapp 149 Kilometer zurückgelegt, davon 74,8 im elektrischen Fahrmodus. Bei ganz gewöhnlicher Fahrweise und einem etwas zügigeren Stück Autobahn Acht meldet der Bordcomputer einen Durchschnittsverbrauch von überaus beachtlichen 5,7 Litern Super.
Übrigens: BMW hat für den X5 xDrive45e ein LCA-Öko-Zertifikat erstellen lassen, das den CO2-Fußabdruck über den gesamten Lebenszyklus hinweg analysiert. Demnach emittiert der Plug-in-Hybrid, sofern man denn mit Ökostrom lädt, gut 70 Prozent weniger CO2 als ein vergleichbarer X5 xDrive40i. So macht BMW aus mehr weniger und den Plug-in-Hybridantrieb zu einer echten Alternative – selbst wenn der Radfahrer von der Ludwigsbrücke das wohl auch in Zukunft nicht wahrhaben möchte.
Text: Jonas Eling
Fotos: Wolfgang Groeger-Meier