Schon seit dem 1. Juli 2019 verantwortet Thomas Sycha das Exterieur-Design der Marke MINI. Er folgte damit auf Christopher Weil, der inzwischen die Leitung BMW Exterieur Design übernommen hat. Der 55-jährige Thomas Sycha stammt aus Polen und ist seit 1992 in verschiedenen Funktionen für die Design-Teams der BMW Group tätig.
Unter anderem war Sycha für das Exterieur-Design des BMW Z4 Coupé E86 verantwortlich, das bis heute unzählige Fans hat. Zuletzt war Thomas Sycha seit November 2016 Head of Design BMW Compact Class, nun stellt er sich mit seinen Antworten auf 10 Fragen erstmals ausführlich der Öffentlichkeit vor.
1. Warum sind Sie Automobildesigner geworden?
Seitdem ich denken kann, habe ich gezeichnet, von Cartoons über Häuser bis hin zu Automobilen. Besonders fasziniert haben mich die unterschiedlichen Charaktere bzw. der Ausdruck, den das Fahrzeugdesign schaffen kann. Ich bin in Polen aufgewachsen, das Berufsbild des Automobildesigners gab es dort damals nicht. Daher habe ich zunächst Architektur studiert. Ich wollte kreativ arbeiten, etwas gestalten. Der Wunsch, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen, blieb. Damals bin ich in der Presse zufällig auf Bilder von Marcello Gandinis Entwürfen für Bertone gestoßen. Futuristische, stark keilförmige Fahrzeuge aus den 70ern, Fiat X 1/9 und Autobianchi A112 Bertone Runabout, die er in sehr architektonischen Ansichten gezeichnet hatte. Das habe ich als junger Architekturstudent dann auch probiert – und mir war sofort klar: Das ist es, was ich machen will. Ich habe mich informiert, welche Hochschulen Automobildesign anbieten. Es waren nicht sehr viele: London, Los Angeles oder Pforzheim. Ich habe mir Pforzheim ausgesucht – und wurde dort angenommen.
2. Was inspiriert Sie?
Ich finde Inspiration in verschiedenen Erlebnissen, in Momenten, in denen man das Gefühl hat, der imaginären Zukunft zu begegnen. Ein Beispiel: Als ich zum ersten Mal das BMW Werk von Zaha Hadid in Leipzig besucht hatte, war ich beeindruckt von der Ausdrucksstärke und der Emotion, die in dem Gebäude stecken. Obwohl es auf den ersten Blick „nur“ Beton ist, verspricht es so viel. Es steckt eine Erwartung darin bzw. das Verspechen, dass es eine Zukunft gibt, in der sich Emotion und Technik verbinden lassen. Mich berühren auch die Schönheit der technischen Meisterwerke aus der Vergangenheit – egal, ob es Boote, Fahrzeuge oder andere Maschinen sind. Wenn ich alte, mechanische Ingenieurskunst sehe, bekomme ich sofort Lust, zum Stift zu greifen und selbst etwas zu zeichnen. Die Radaufhängung eines alten Bugatti – das ist für mich pure Inspiration. Inspirierend ist auch, etwas Neues schaffen zu können und der Prozess selbst, das Zeichnen an sich. Ich darf bei der BMW Group bzw. konkret bei MINI in einem Team arbeiten, in dem sehr viel Kreatives entsteht. Die Zeichnungen an den Wänden in unserem Studio alleine sind tägliche Inspirationsquelle.
3. Worin liegt der Schlüssel, ein Fahrzeugdesign zu gestalten, das erst in fünf Jahren den Zeitgeist treffen soll?
Als Automobildesigner lebt man mit seiner Arbeit tatsächlich der Umgebung ein paar Jahre voraus. Die Fahrzeuge, an denen wir aktuell arbeiten, sind die Zukunft der Marke. Wir fragen uns, wie soll der Charakter sein? Wie schaffen wir einen Aha-Effekt? Und was ist ästhetisch? Wir beobachten, dass Ästhetik und Geschmack oft ein Prozess sind, die von Brüchen leben. Und wir wollen genau diese Brüche schaffen, die dann als neu, innovativ und wegweisend gelten. Das zu treffen, ist eine Mischung aus Erfahrung und Talent – und darauf setzen wir bei MINI.
4. Was ist für Sie typisch MINI?
MINI hat für mich zwei Seiten: Die Marke besitzt einerseits einen starken Bezug zu ihrer Historie und der britischen Herkunft. Andererseits bzw. gleichzeitig ist sie modern und innovativ. Genau das macht für mich die faszinierende Identität von MINI aus. MINI ist sympathisch, positiv und offen. Das ermöglicht jedem Fahrer, eine direkte Beziehung zum Produkt herzustellen. Zugleich ist MINI selbstbewusst und individuell. Für mich macht diese Kombination das Fahrzeug und die Marke einzigartig. Hieraus resultiert natürlich auch eine hohe Erwartung der Kunden – zu Recht. Als Designteam sehen wir unsere Aufgabe, den Raum zwischen Tradition und Moderne immer wieder neu und authentisch mit Leben zu füllen.
5. Wie sieht ein MINI in Zukunft aus?
Zukunft ist für mich etwas Positives. Das treibt uns alle hier. Vieles verändert sich und ist im Umbruch, darin sehe ich große Chancen, die man für gutes Design nutzen kann. MINI besitzt bereits heute verschiedene Charaktere, die sich weiter wandeln werden. Es gibt eine ganze MINI Familie. Wir überlegen stets, was es noch geben könnte. Ich bin davon überzeugt, dass ein MINI den sympathischen Ausdruck behalten wird. Selbst wenn er in Zukunft, übertrieben gesagt, eine autonom fahrende Box werden sollte, wird das Erlebnis in einem MINI immer sehr persönlich sein und Sympathie ausstrahlen. Wie das dann genau aussieht, daran arbeiten wir. Das MINI Erlebnis muss optimistisch aufgeladen sein: Wenn man seinen MINI am Morgen wiedersieht, spürt man, dass es ein guter Tag werden kann.
Konkret: Für mich wird MINI in Zukunft auf jeden Fall emotional bleiben, trotz und gerade aufgrund der allgegenwärtigen Digitalisierung. Die Interaktion mit einem MINI wird persönlich und vor allem positiv sein. Er wird einen zum Lächeln bringen. Vielleicht begrüßt ein MINI seinen Fahrer in Zukunft von außen bereits, weil das Exterieur aktiv bespielbare Flächen hat. Auch das Interieur wird durch Digitalisierung vollkommen neue Möglichkeiten der Personalisierung bieten.
6. Sie waren in der Vorentwicklung tätig und haben unter anderem die neue Formensprache für BMW mitentwickelt. Inwieweit werden Sie das Exterieur Design bei MINI erneuern?
Die Weiterentwicklung der Designsprache einer Marke ist immer ein Prozess, nichts, was von heute auf morgen beschlossen und dann umgesetzt wird. Mit jedem Projekt geht man einen Schritt weiter und treibt die Erneuerung konsequent voran. Die Anforderungen an die individuelle Mobilität werden immer höher – als Designer ist unser Arbeitsalltag geprägt von Herausforderungen, wie den gesetzlichen Auflagen und Gegebenheiten neuer Technologien. Autonomes Fahren und damit die Einbindung von notwendigen Sensoren oder die Konnektivität sind Beispiele für solche Themen. Aber auch ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen, die mit Vorgaben Einfluss auf das Design der Zukunft nehmen, müssen wir berücksichtigen. Wichtig dabei: die MINI typische, zeitgemäß umgesetzte Wiedererkennbarkeit muss weiterhin gegeben sein. Sie sehen, nicht ganz trivial.
7. Die Marke MINI hat vor Kurzem den ersten vollelektrischen MINI, den MINI Cooper SE, präsentiert. Unterscheidet sich die Gestaltung des Exterieurs eines MINI mit Elektroantrieb im Vergleich zu einem mit konventionellem Verbrennungsmotor?
Elektromobilität bedeutet einen Technologiesprung, der mit vollkommen anderen technischen Gegebenheiten einhergeht. Der Antrieb ist relativ klein, aber der Energiespeicher bislang groß. Das heißt, dass wir hier deutlich andere Anforderungen an Bauräume haben, die uns gleichzeitig die Möglichkeit geben, die Proportionen neu zu denken. Und selbstverständlich wollen wir weiterhin typisch MINI sein. Der MINI Cooper SE zeigt bereits im ersten kleinen Schritt die Richtung, in die das gehen kann. Er verbindet das bekannte MINI Gesicht mit einer aufgefrischten Ästhetik, die cleaner und ruhiger erscheint. Seine Front ist nahezu komplett geschlossen, da im Vergleich zum Verbrennermodell keine Komponenten dahinter liegen, die gekühlt werden müssen, beziehungsweise andere Komponenten an anderer Stelle eine Kühlung benötigen. Die klaren, großzügigen Flächen lassen ihn modern wirken. Gleichzeitig verbessern sie die Aerodynamik und erhöhen damit die Reichweite.
8. Inwiefern verändert das autonome Fahren in Zukunft die Gestaltung eines MINI?
Die Auswirkungen werden ähnlich hoch sein wie bei der Elektromobilität, nur werden sie deutlich anders aussehen. Natürlich wird sich vor allem das Interieur deutlich verändern, allein weil man auf einmal die Möglichkeit hat, während der Fahrt etwas anderes zu tun. Doch auch im Exterieur wird sich dieser Wandel widerspiegeln. Nehmen wir beispielsweise das typische MINI Gesicht – für mich eines der wesentlichen MINI Merkmale. Heute sind dort zwei runde, freundliche Scheinwerfer-„Augen“. Aber das kann bzw. wird in Zukunft, wenn die Fahrzeuge autonom fahren, durchaus zur Debatte stehen. Scheinwerfer gibt es nur, damit wir als Fahrer etwas sehen können. Das autonom fahrende Fahrzeug benötigt sie nicht mehr. Stattdessen nutzt es dafür jede Menge Sensoren, die es zu integrieren gilt. Auch Fensterflächen können wir neu denken. Wann will oder muss ich etwas sehen, wann nicht? Das Fahrzeug könnte sich je nach Situation daran anpassen.
9. Welchen Einfluss hat Konnektivität in Zukunft auf das Exterieur Design bei MINI?
Die Konnektivität wird uns die Mobilität in Zukunft deutlich erleichtern. Wir reden heute viel von dem zukünftigen Einsatz künstlicher Intelligenz, die während der Fahrt unterstützt – egal ob bei der Fahraufgabe oder bei anderen Tätigkeiten, wie beispielsweise einer Hotelbuchung. Doch auch im Exterieur gibt es Möglichkeiten: Bei einer Shared Mobility könnte die Verbindung zum Fahrzeug das Thema Personalisierung ermöglichen. So könnte sich das Erscheinungsbild des Fahrzeugs verändern, sobald ich auf dem Weg dorthin bin. Wir haben dieses Szenario beim MINI VISION NEXT 100 vor drei Jahren bereits angedeutet. So reden wir beispielsweise über aktive Oberflächen: Was heute lackiertes Blech ist, könnte in Zukunft aktiv bespielbar sein und Stimmungen oder konkrete Botschaften spiegeln.
10. Was wünschen Sie sich für die Zukunft von MINI Design, und wie sehen Sie Ihre Rolle als Leiter Exterieur Design MINI?
Ich wünsche mir, dass man in Zukunft weiterhin von MINI Ikonen spricht. So wie der MINI bereits heute eine Ikone ist, sollen auch die zukünftigen MINIs diese Qualität haben. Ich würde mir wünschen, dass ein MINI immer noch sofort und authentisch erkennbar ist, positive Emotionen auslöst und vielleicht auch andere Designbereiche beeinflussen wird. Also allgemein gesagt: Die Herausforderung ist, die ikonenhaften Charakterzüge eines MINI behalten und in die neue technoide Welt übertragen. Damit MINIs in Zukunft keine seelenlosen, selbstfahrenden Kapseln werden. Ich darf in einem hoch motivierten internationalen Team daran arbeiten. Ich möchte diesen kreativen Köpfen die Möglichkeit geben, ihre Ideen zu entfalten und in Produkten Realität werden zu lassen. Denn das größte Erlebnis für einen Designer ist, den eigenen Entwurf dann tatsächlich an einem Fahrzeug auf der Straße zu sehen. Daran möchte ich mitwirken.
Vielen Dank für das Gespräch!