Die EU-Kommission hat BMW, VW und Daimler heute über ihre Einschätzung zu Kartell-Vorwürfen rund um die Abgasreinigung und -nachbehandlung informiert. In der ausdrücklich vorläufigen Ansicht geht die Kommission davon aus, dass die drei Autobauer mit gemeinsamen Absprachen gegen EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben.
Die “systematischen Absprachen” im sogenannten “5er-Kreis” (benannt nach den fünf beteiligten Marken Audi, BMW, Mercedes, Porsche und Volkswagen) sollten aus Sicht der europäischen Wettbewerbshüter eine “Einschränkung der Entwicklung und Einführung von Abgasreinigungs-Technologien für neue Diesel- und Benzin-Pkw im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bezwecken”.
Die Bedenken der Kommission beziehen sich insbesondere auf die folgenden Technologien:
- Systeme zur selektiven katalytischen Reduktion („SCR“), die durch die Eindosierung von Harnstoff (auch als „AdBlue“ bezeichnet) in den Abgasstrom eine Verringerung der schädlichen Stickoxidemissionen (NOx) von Diesel-Pkw bewirken. Nach der vorläufigen Auffassung der Kommission koordinierten BMW, Daimler und VW zwischen 2006 und 2014 ihre AdBlue-Dosierstrategien, die Größen ihrer AdBlue-Tanks sowie die mit einer Tankfüllung möglichen Reichweiten, und zwar mit dem gemeinsamen Verständnis, dass sie dadurch den AdBlue-Verbrauch und die Wirksamkeit der Abgasreinigung begrenzten.
- Ottopartikelfilter („OPF“) zur Verringerung schädlicher Partikelemissionen in den Abgasen von Benzin-Pkw mit Direkteinspritzung. Nach der vorläufigen Auffassung der Kommission koordinierten BMW, Daimler und VW zwischen 2009 und 2014 ihre Vorgehensweise, um die Einführung von OPF bei ihren neuen Benzin-Pkw-Modellen (mit Direkteinspritzung) zu vermeiden oder zumindest zu verzögern und Ungewissheiten hinsichtlich ihres zukünftigen Marktverhaltens auszuräumen.
Margrethe Vestager (EU-Kommissarin für Wettbewerbspolitik): “Unternehmen können auf viele Arten zusammenarbeiten, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Die EU-Wettbewerbsvorschriften verbieten ihnen jedoch, Absprachen zu treffen, die genau das Gegenteil bewirken sollen, nämlich ihre Produkte nicht zu verbessern und bei der Qualität nicht miteinander in Wettbewerb zu treten. Wir haben Anlass zur Sorge, dass in diesem Fall genau dies geschehen ist und dass Daimler, VW und BMW gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben könnten. Dadurch könnte Verbrauchern in Europa die Möglichkeit verwehrt worden sein, Fahrzeuge mit der besten verfügbaren Technologie zu kaufen. Die drei Automobilhersteller haben nun die Möglichkeit, auf unsere Erkenntnisse zu reagieren.”
Die BMW Group hat mit einer ausführlichen Stellungnahme auf die heutige Meldung reagiert und stellt ihrerseits fest:
Die BMW Group hat am 05. April 2019 von der EU-Kommission eine sogenannte „Mitteilung der Beschwerdepunkte“ im Rahmen der laufenden Kartelluntersuchung erhalten. Die Mitteilung bezieht sich auf eine Untersuchung von Gesprächen deutscher Automobilhersteller vor einigen Jahren in Arbeitskreisen und enthält eine vorläufige wettbewerbsrechtliche Einschätzung durch die EU-Wettbewerbsbehörde.
- BMW Group prüft Beschwerdepunkte der Kommission intensiv
- Gespräche in den Arbeitskreisen zielten auf Technologieneutralität und Umsetzbarkeit der gesetzlich geforderten Reduzierung von Abgasemissionen
- Zulässige Abstimmung von Industriepositionen zu regulatorischen Rahmenbedingungen darf nicht mit verbotenen Kartellabsprachen gleichgesetzt werden
- Abgas-Nachbehandlungssysteme der BMW Group unterscheiden sich von denen der Wettbewerber
- Keine Hinweise auf Absprachen bezüglich Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Die BMW Group wird die Beschwerdepunkte sowie die von der EU-Kommission zur Verfügung gestellten Informationen prüfen und hierzu gegenüber der Behörde Stellung nehmen. Da es sich um ein laufendes Verfahren der EU-Kommission handelt, wird sich das Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt zum Inhalt der Beschwerdepunkte nicht äußern. Die Prüfung der Beschwerdepunkte und möglicher finanzieller Auswirkungen dauert an.
Die BMW Group sieht in diesem Verfahren den Versuch, die zulässige Abstimmung von Industriepositionen zu regulatorischen Rahmenbedingungen mit unerlaubten Kartellabsprachen gleichzusetzen.
Keine Preis- oder Gebietsabsprachen zu Lasten von Kunden oder Lieferanten
Nach bisherigen Erkenntnissen untersucht die Kommission, ob deutsche Automobilhersteller in technischen Arbeitskreisen bei der Entwicklung und Einführung von Technologien zur Verringerung von Emissionen in wettbewerbsbeschränkender Weise zusammengearbeitet haben. Dieser Sachverhalt ist aus Sicht der BMW Group nicht mit Kartelluntersuchungen beispielsweise zu Gebiets- und Preisabsprachen zu vergleichen.
Im Kern ging es den beteiligten Ingenieuren aus den Entwicklungsabteilungen der Hersteller um die Verbesserung von Technologien zur Abgasnachbehandlung.
Anders als Kartellabsprachen zielten diese Gespräche, die industrieweit bekannt waren und keine „Geheimabsprachen“ zum Gegenstand hatten, nicht auf die Schädigung von Kunden oder Lieferanten ab.
Optimierung der Tankstellen-Infrastruktur als Voraussetzung für kleinere und leichtere AdBlue-Tanks
Im Fokus des Verfahrens der EU-Kommission steht nach bisherigen Erkenntnissen der Vorwurf, dass sich die Hersteller über die Größe von AdBlue-Tanks bei SCR (Selective Catalytic Reduction)-Systemen abgestimmt hätten. Das habe den Wettbewerb um die bestmögliche Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen beschränkt.
Tatsache ist, dass die deutschen Automobilhersteller gemeinsam mit einem Automobilzulieferer die erste Generation eines SCR-Systems entwickelt haben. Die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von SCR hat im Ergebnis zur schnellen Serienreife dieser effektiven Abgas-Nachbehandlungssysteme geführt.
Ein weiteres Ziel war der langfristige Aufbau einer kundenfreundlichen und flächendeckenden Nachfüllinfrastruktur für AdBlue als Voraussetzung für den Einbau kleinerer und leichterer Tanks. Zu diesem Zweck haben die Hersteller gemeinsam mit Automobilverbänden Gespräche mit der Mineralölindustrie geführt.
Tatsächlich stand die in den Arbeitskreisen diskutierte Einführung kleinerer AdBlue-Tanks immer unter der Bedingung einer adäquaten Tankinfrastruktur. Das hat der VDA beispielsweise bereits während der „Diesel Emissions Conference“ im Juni 2009 in Brüssel öffentlich erläutert. Weil sich jedoch abzeichnete, dass diese Infrastruktur nicht schnell genug zur Verfügung stehen würde, hat die BMW Group letztendlich größere AdBlue-Tanks verbaut. Eine verminderte Abgasreinigungswirkung aufgrund von Überlegungen zur Tankgrößen-Optimierung war für die BMW Group zu keiner Zeit eine Option.
Abgas-Nachbehandlungstechnologien bei der BMW Group unterscheiden sich von anderen Herstellern
Die bei der BMW Group eingesetzten Abgas-Nachbehandlungstechnologien unterscheiden sich deutlich von anderen Lösungen im Markt. Die BMW Group ist dabei von Anfang an ihren eigenen Weg gegangen und hat in ihren Diesel-Fahrzeugen eine Kombination mehrerer Abgasreinigungssysteme eingesetzt. Soweit die Abgasreinigung durch SCR-Systeme erfolgt, ist in diesen Fahrzeugen zusätzlich ein NOx-Speicher-Katalysator verbaut. Das führt zu einem auch im Wettbewerbsvergleich sehr guten Realemissionsverhalten. Die Kombination dieser zwei Systeme in Verbindung mit einer innermotorischen Abgasrückführung führt zudem dazu, dass der AdBlue-Verbrauch bei BMW Fahrzeugen im Wettbewerbsvergleich sehr niedrig ist.
Wettbewerb um beste Lösung als Triebfeder für Gespräche
Ein weiterer Vorwurf der EU-Kommission lautet nach bisherigen Erkenntnissen, dass sich die betroffenen Unternehmen darauf verständigt hätten, den Ottopartikelfilter (OPF) nicht oder nur verzögert einzuführen. Das habe den Wettbewerb um die bestmögliche Technologie zur Verminderung von Feinstaubpartikeln beschränkt. Dazu ist anzumerken, dass die Gespräche zwischen den Herstellern in unmittelbarem Zusammenhang mit den damaligen Überlegungen des Gesetzgebers zur erstmaligen Einführung eines Grenzwerts für die Anzahl von Feinstaubpartikeln standen. Ziel der Hersteller und ihrer Verbände war es, sich in die Diskussion über die Festlegung zukünftiger, technisch auch erfüllbarer Grenzwerte einzubringen. Das ist bei anstehenden Regulierungsvorhaben in allen Industrien üblich. Dabei verständigten sich die Hersteller zunächst untereinander und dann über die Automobilverbände VDA und ACEA auf eine Industrieposition in Bezug auf das genannte Gesetzesvorhaben. Die Ergebnisse wurden in die von der Kommission geführten Konsultationsgespräche eingebracht.
Im Vordergrund stand dabei, für eine gesetzliche Regelung zu werben, die technologieneutral ist und nicht zwingend den Einbau eines OPF erforderte. Eine technische Wahlfreiheit zur Einhaltung der Grenzwerte – beispielsweise durch innermotorische Maßnahmen – sollte erhalten werden.
Hintergrund dieser Position war, dass der OPF aus damaliger Sicht zahlreiche Nachteile gegenüber innermotorischen Maßnahmen aufwies: Die OPF-Technologie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift und mit Zusatzgewicht und damit CO2-Nachteilen verbunden. Auch zeichneten sich damals negative Effekte auf die Leistungsfähigkeit des Motors ab. Ziel der angestrebten technischen Wahlfreiheit war in diesem Fall gerade ein möglichst offener und intensiver Wettbewerb um die beste Lösung.
Keine Hinweise auf Absprachen bezüglich Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Die BMW Group legt Wert auf die Feststellung, die die EU-Kommission bereits in ihrer Pressemitteilung vom 18. September 2018 bestätigt hatte: Die laufenden Untersuchungen betreffen allein mögliche Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht und nicht eine gezielte unzulässige Manipulation der Abgasreinigung. Letzterer Vorwurf steht bei der BMW Group nicht im Raum.
Grundsätzlich ist für die BMW Group verantwortungsvolles und rechtmäßiges Verhalten die Basis allen unternehmerischen Handelns. Um die Einhaltung von Rechtsvorschriften, darunter Vorschriften des Wettbewerbsrechts, sicherzustellen, hat die BMW Group ein umfassendes Compliance Management System etabliert.