Kurz vor Einbruch der Dunkelheit steht der Garten der Villa d‘Este in feinstem, goldenen Foto-Licht. Die Abendsonne strahlt, selbstverständlich. Hier im Paradies am Ufer des Comer Sees scheinen Regen, Kälte und widrige Witterungsverhältnisse unwirklich. Kein Wunder, dass sich hier am Wochenende wie in jedem Jahr die Autowelt versammelt, um mit dem Concorso d’Eleganza automobile Perfektion zu feiern.
Es knirscht auf dem Kies, Bewegung kommt in die Menge der geladenen Gäste und Journalisten. Nicht nur historische Fahrzeuge finden hier eine einzigartige Bühne – manchmal ist auch etwas völlig neues dabei. Diesmal trägt die Weltpremiere hoch oben auf dem steilen Kühlergrill die “Spirit of Ecstasy”. Marken-Chef Torsten Müller-Ötvös fährt den Rolls-Royce Cullinan vor.
Bereits vor knapp zwei Wochen hat die britische Nobelmarke die ersten Bilder und Informationen zur nach eigenen Worten meist herbeigesehnten Premiere der Firmengeschichte präsentiert, nun gibt es den gewaltigen Luxus-Geländewagen erstmals tatsächlich live zu sehen. Benannt nach dem größten je gefundenen Diamanten der Welt, soll der Rolls-Royce Cullinan einen essentiellen und bislang ungehörten Wunsch der solventen Kundschaft erfüllen: mit allem erdenklichen Luxus wirklich überall hinzukommen. Ohne Kompromisse.
Dieser Grundgedanke hebt den ersten Offroad-Rolls deutlich von der dünn gesäten Nobel-Konkurrenz ab. Der 5,34 Meter lange Geländewagen ist nicht einfach nur ein asphaltoptimiertes Sports Utility Vehicle, sondern ein echtes Arbeitstier – mit 540 Millimeter Wattiefe, permanentem Allradantrieb mit Allradlenkung, sechs Offroad-Fahrprogrammen und einem schlicht “Everywhere-Taste” genannten Schalter, der die volle Geländegängigkeit aktiviert. Neu konstruierte Achsen und eine überarbeitete Luftfederung sollen bei alldem den gewohnten Rolls-Royce-Komfort erhalten.
Als technische Basis nutzt der Cullinan – mit deutlichen Anpassungen – die markeneigene “Architektur des Luxus”, auf der bereits die Phantom Limousine aufbaut. Früher geizte Rolls-Royce ganz bewusst mit der Bekanntgabe technischer Daten, beim Neuzuwachs geben sich die Entwickler jedoch so offen wie nie zuvor. Stolz weist man zum Beispiel darauf hin, dass der Kofferraum zwischen 560 und 1.886 Liter Reisegepäck aufnimmt. Und ja, auch die Sitze lassen sich (selbstredend elektrisch) umklappen – eine weitere Marken-Premiere.
Nutzwert ist Teil des neuen Luxus-Verständnisses im Kapitel Cullinan. Das Wohlbefinden der je nach Sitzkonfiguration vier oder fünf Insassen steht aber selbstredend an erster Stelle. Für die klassenbeste Ruhe im Innenraum wird die Passagierkabine durch eine Glaswand vom Gepäckabteil abgeschirmt. Ein weiterer Vorteil dieser räumlichen Trennung: auch bei geöffneter Heckklappe kann warme oder kalte Luft von draußen nicht bis zu den Reisenden durchdringen.
Rolls-Royce Cullinan mit Biturbo-Zwölfzylinder und 571 PS
Ähnlich wie das Luxus-Coupé Wraith ist der Geländewagen als Selbstfahrerauto konzipiert. Das Infotainment-Programm und die lange Liste an modernsten technischen Helfern vom Head-up Display bis zum Nachtsicht-Assistenten wird von BMW übernommen. Unter der kantigen Motorhaube arbeitet ein Biturbo-Zwölfzylinder mit majestätischen 6,75 Litern Hubraum, der die 2,66 Tonnen schwere Bastion der Reisekultur mit 571 PS und 850 Newtonmeter Drehmoment bis ans Ende der Welt bringen soll.
Ist man dort angelangt, kommt schließlich ein weiteres Highlight der Rolls-Royce Individual-Kultur zum Einsatz. Das “Recreation Module” birgt am Heck bietet eine nach Wunsch des Besitzers maßgeschneiderte Schublade mit Ausrüstung, etwa für Drohnenflüge, Fotografie oder Paragliding. Wer lieber entspannen will, bestellt hingegen die “Viewing Suite” mit zwei feinen Ledersitzen samt Cocktailtisch. Dann kann man einfach nur sitzen und genießen. Zum Beispiel die Abendsonne, hier im Paradies am Comer See.
Text und Fotos: Jonas Eling