Unser Ausflug in unerforschte Dimensionen der Fahrphysik beginnt erst einmal ziemlich bodenständig mit Hähnchenbrust und Kartoffeln. Abendessen am Vortag des BMW M Intensive Trainings – leichte Kost, bevor es am nahen Lausitzring ernst wird. Mit uns am Tisch sitzen ein Portugiese, ein Belgier und ein Ägypter. Alle drei eint die Begeisterung für sportliche BMW-Modelle und alle drei bestreiten den täglichen Weg zur Arbeit mit einem BMW M4. Das Fahrertraining der BMW Driving Experience haben sie über das optionale M Driver’s Package gleich ab Werk mitbestellt. „Der M4 ist unser Familienauto“, erzählt der Belgier und beweist, dass es auch mit zwei kleinen Kindern Alternativen zum klassischen Familien-SUV gibt – man muss es nur wirklich wollen.
Nach kurzer Nacht treffen wir uns am nächsten Morgen in aller Frühe gleich am Lausitzring. Die Boxengasse im Schatten der menschenleeren Zuschauertribünen gleicht mit den sauber aufgereihten Trainingsautos einem Traum-Spielplatz. Hinter den bekannten M4-Modellen steht in bunten Individual-Lackierungen der Neuzugang der BMW Driving Experience Flotte: der neue BMW M5. Erst seit ein paar Tagen steht die 600 PS starke Sport-Limousine mit dem viel gelobten variablen Allradantrieb für die M Intensive Trainings gegen Aufpreis zur Wahl.
Vollgas und Vollbremsung – Kennlern-Spiele in M5-Manier
Unser Instruktor, Ex-Rallye-Pilot Lars Mysliewietz, ruft die kleine Gruppe der heutigen M5-Fahrer zusammen und erklärt die perfekte Sitzposition für einen Tag auf der Rennstrecke: weit oben und nah am Lenkrad. „Wenn ihr jetzt das Gefühl habt, dass so eure Großmutter Auto fährt, dann kann ich nur sagen: verdammt coole Oma.“ Das tiefe Grollen der Sport-Abgasanlage verschluckt die Lacher im Publikum, das sich in Vorfreude um die offene Fahrertür schart. Dann wird es ernst.
Wir stehen an der Startlinie zur ersten Fahrübung. Ein Kennlern-Spiel in M5-Manier: Vollgas und Vollbremsung, auf dem Rückweg ein gemächlicher Slalom, um die korrekte Lenktechnik zu trainieren. 3,4 Sekunden vergehen im Sprint auf Tempo Hundert, sagt das Datenblatt. „Jonas, du bist dran“, meldet Lars per Funk.
Völlig unmittelbar unterbindet der 4,4-Liter-V8 unsere eben noch klaren Gedanken. 750 Newtonmeter krallen sich unter sattem Fauchen in den Asphalt des Lausitzrings. Mit brutaler, kompromissloser Vehemenz schießt die knapp zwei Tonnen schwere Limousine in eine andere Dimension, die die geltenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten offensichtlich nicht so ernst nimmt. „Und Bremsen!“. Unter kurzem ABS-Stakkato verzögern wir uns zurück in die Realität.
Bereits auf den ersten Metern des heutigen Trainingstages offenbart sich der erste M5 mit Allradantrieb als schiere Urgewalt, als mächtiger Hochleistungssportler, der beim beherzten Tritt aufs Gaspedal den Grundcharakter einer manierlichen Business-Limousine ansatzlos abschüttelt. Bitte, das klingt noch nicht überzeugend? Der neue M5 hat seine ganz eigenen Methoden, um hinterradantriebsbegeisterte Zweifler auf seine Seite zu holen. Wem die dynamische, hecklastige Auslegung und der spürbare Grip-Zuwachs an den Vorderrädern nicht ausreicht, für den gibt es eine besondere Option im DSC-Menü: „Allradantrieb konfigurieren“. Dann kann man per iDrive-Controller umschalten – und der M5 wird zum klassischen Hecktriebler.
Wir stehen mittlerweile an einem von kleinen Fontänen besprenkelten Nasskreis auf dem nahen Dekra-Testgelände und lassen uns von Lars eine weitere M5-Kerndisziplin erklären – den kontrollierten Querverkehr mit und ohne Allradantrieb. Beide Drift-Optionen wollen wir heute ausprobieren. Der Systemvergleich startet ganz Old-School im Hinterrad-Programm: Mit 20 km/h in den Nasskreis fahren, Einlenken, Vollgas geben und den Driftwinkel anschließend mit gezielten, rhythmischen Gasstößen kontrollieren. Das klappt intuitiv und spielerisch – zumindest bis zu dem Punkt, an dem man anfängt darüber nachzudenken. Dann dreht man sich. Sofort.
Noch ungewohnter fühlt sich die Übung im konventionellen Allrad-Modus an. Hier funktioniert alles auf ähnliche Weise, nur genau umgekehrt: man muss vom Gas gehen, um den Driftwinkel zu erhöhen. Nach einigen Runden auf Messers Schneide und spektakulärer Dreheinlagen aller M5-Piloten einigen wir uns im gemeinsamen Resümee darauf, dass Driften, ganz gleich mit welcher Antriebsart, ein absoluter Trainingssport ist. Beruhigende Blicke als Lars uns grinsend Recht gibt.
Den restlichen Vormittag verbringen wir mit verschiedenen Fahrübungen, die die Instruktoren auf einzelnen Streckenabschnitten des Lausitzrings aufgebaut haben. Vollbremsungen in Kurven bei 100 km/h gehören dazu (“Stell dir vor da liegt ein Baum auf der Landstraße”), ebenso Ausweichmanöver über mehrere Fahrspuren (“Stell dir vor, ein Paketlaster verliert vor dir seine Ladung”). Auch ein Slalom-Parcours mit Zeitmessung gehört zu den Übungen und weckt den Wettbewerbs-Geist der Teilnehmer.
Pacecar-Runden auf dem Lausitzring: Das Highlight des BMW M Intensive Training
Es ist überraschend, wie schnell man sich an die niemals endenden Leistungsreserven und an das problemlose Handling des neuen BMW M5 gewöhnt. Mit jeder Übung verbessert sich die Fahrzeugbeherrschung, mit jedem Meter wird man etwas selbstbewusster am Steuer der Power-Limousine – und sammelt dabei wichtige Erfahrungen, die am Ende auch den Auto-Alltag abseits der Rennstrecke deutlich sicherer gestalten.
Nach der Mittagspause ruft Lars das Highlight des BMW M Intensive Trainings aus: Geführte Pacecar-Runden über den gesamten Track. Wir rollen im gemächlichen Tempo aus der Boxengasse, Lars vorweg im Ferrari-roten Individual-M5, die übrigen Teilnehmer dicht hinterher. In einzelnen Abschnitten erklärt unser Renn-Instruktor die Strecke, macht auf Scheitelpunkte und Ideallinien aufmerksam. Und dann wird richtig gefahren.
Runde für Runde steigern wir das Tempo, wieseln immer routinierter durch die Kurven und finden nach ein paar Versuchen von selbst den passenden Gang für die langsameren Passagen der Strecke. Besonders die langgezogene Kurve hin zur Start-Ziel-Geraden verdeutlicht dazu die Macht der G-Kräfte, wenn man sich halb auf der Mittelkonsole liegend mit Vollgas in Richtung der Betonmauer tragen lässt. Ein beispielloses Erlebnis; schnell, intensiv, anstrengend und unglaublich vergnüglich. Nach jeder Runde wechselt der Konvoi durch, sodass jeder Fahrer direkt hinter dem Führungsauto an seiner Linie arbeiten kann. Während wir schon mit einfachem Dranbleiben vollends ausgelastet sind, behält Lars die Lage per Rückspiegel im Blick und gibt per Funk Anweisungen und Kommentare.
Wir spielen mit den verschiedenen Fahrmodi, testen die umfangreichen Einstellmöglichkeiten der einzelnen Fahrzeugkomponenten und verfrachten die Lenkung bei einsetzendem Muskelkater verstohlen von Sport-Plus in den etwas leichtgängigeren Sportmodus. Der Trainings-Tag auf der Rennstrecke ist so anstrengend wie ein Marathonlauf und gleichzeitig so erholsam wie eine Kreuzfahrt – und auch preislich in einer ähnlichen Liga. Ob es das Wert war, wollen wir eigentlich wissen, als wir zurück in der Box auf den freundlichen Belgier mit dem Familien-M4 treffen. Wir sparen uns die Frage. Das begeisterte Grinsen in allen Gesichtern nimmt die Antwort vorweg.