Rennwagen und Serienfahrzeuge haben oft nicht sonderlich viele Gemeinsamkeiten, aber im Fall des neuen BMW M8 GTE erfolgte die Entwicklung phasenweise tatsächlich im Gleichschritt. BMW Motorsport Designer Michael Scully liefert im Interview einige Einblicke in den Prozess, an dessen Ende neben einem luxuriösen Sportwagen für den Alltag vermögender Kunden auch ein wettbewerbsfähiger Rennwagen für den Langstrecken-Sport stehen sollte.
Im Interview wird auch klar, mit welchen großen Herausforderungen das Wechselspiel von Design, Aerodynamik und Reglement verbunden ist. Längst nicht jede Idee des Designers lässt sich mit den komplexen Anforderungen an einen Rennwagen der absoluten Spitzenklasse vereinen, dennoch ist das Design entscheidend für den Erhalt der optischen Nähe zum Serienfahrzeug. Michael Scully erklärt dabei unter anderem, wie die charakteristischen M Außenspiegel ihren Weg von den Straßenfahrzeugen an den Rennwagen gefunden haben.
Herr Scully, der BMW M8 GTE wurde gebaut, um in den härtesten Langstreckenrennen der Welt anzutreten. Warum ist das Design des Fahrzeugs dabei von Bedeutung?
Michael Scully: „Wenn ein Fahrzeug wie der BMW M8 GTE schon vor einem bahnbrechenden Serienfahrzeug wie dem BMW 8er öffentlich vorgestellt wird, dann sind Performance-Kontinuität und Design-Charakter von besonderer Bedeutung, da der Rennwagen eine aktive Rolle dabei spielt, das Wesentliche des neuen BMW 8er zu formen und zu kommunizieren. Rennfahrzeuge sind typischerweise dafür bekannt, vor allem von Funktionalität getrieben zu sein, und ich liebe es, wenn ein Auto so fokussiert ist: Sie vermitteln einen natürlichen und authentischen Eindruck davon, wozu sie bestimmt sind. Die visuelle Kommunikation ist allerdings viel subjektiver als die Zahlen auf einer Stoppuhr. Als Designer bin ich sowohl an der reinen Performance des Fahrzeugs als auch an seinem Charakter, der über Form und Optik vermittelt wird, interessiert. Synergien zwischen diesen Elementen herzustellen, ist oftmals eine große Herausforderung, aber im Design für mich auch die höchste Auszeichnung.“
Muss ein Designer vor dem Hintergrund dieser Balance zwischen Funktion und Emotion eher Abstriche machen oder verleiht sie dem Ganzen erst eine Struktur?
Scully: „Das verläuft in beide Richtungen. Die Kriterien für die funktionalen Anforderungen helfen dabei, den Designprozess zu strukturieren und geben uns etwas, worauf wir antworten können. Innerhalb solcher Rahmenbedingungen clevere und innovative Lösungen zu finden, ist für mich das, was den Beruf des Designers ausmacht. Ohne diese Einschränkungen wäre der Designprozess eine rein künstlerische Sache, wie etwa die Fertigung einer Skulptur. Erst die Verbindung der grundlegenden BMW Design DNA mit den funktionalen und vom Reglement bedingten Anforderungen ist im Designprozess für mich der Punkt, an dem kreative Dynamik wirklich beginnt.“
Inwiefern spiegelt das Design den Charakter eines Autos wider, und wie sieht der Charakter des BMW M8 GTE aus?
Scully: „Ich denke, wir haben beim BMW M8 GTE einen fokussierten und entschlossenen Ausdruck geschaffen. Das Fahrzeug hat eine herausragende Präsenz. Diese ist zum Teil auf die grundlegenden Proportionen des Serienmodells zurückzuführen: Es hat die klassische Zwei-Box-Proportion mit einer langgezogenen Motorhaube und betont optisch die Masse an den Hinterrädern. So wird es im Kern zu einem Sportwagen. Nachdem wir knapp 100 Millimeter an jeder Seite des Autos hinzugefügt haben und auch mit seinen ausdrucksstarken aerodynamischen Elementen vermittelt das Fahrzeug deutlich den Anspruch, Rennen zu gewinnen.
An der Front haben wir die Gelegenheit genutzt, die Luftzufuhr durch die Niere mit einer kräftigen Farb-Applikation zu betonen und die funktionsgetriebenen aerodynamischen Formen betont. In Verbindung mit den intensiven und nach vorn gerichteten Frontscheinwerfern sowie den speziellen Kurvenlichtern für den Langstrecken-Rennsport erhält das Fahrzeug einen absolut entschlossenen Ausdruck, was meiner Meinung nach für seinen Zweck relevant ist.“
Ihr Großvater war ein einflussreicher Architekturhistoriker. Ist das Ihrer Meinung nach Zufall oder glauben Sie daran, dass das Gefühl für Formen und Design vererbbar ist?
Scully: „Mein Großvater hat mich gelehrt, dass es einem Gebäude oder Objekt zusätzliche Bedeutung verleiht, wenn es seinen Kontext einbezieht, und dass Gestaltung in einem situationsbezogenen Vakuum erfolglos ist. Ein Objekt kann die menschliche Erfahrung positiv beeinflussen, wenn es darauf ausgelegt ist, seine Umgebung wahrzunehmen. Manchmal kann diese Verbindung durch einen direkten Bezug auf diese Umwelt erreicht werden, beispielsweise wenn ein Haus in einem Gebirge sich mit seiner Dachlinie den spezifischen Berghängen anpasst. Manchmal aber auch durch die deutliche Distanzierung zur bestehenden Umgebung, um einen weiterführenden Dialog zu provozieren. Beides kann abhängig vom jeweiligen Fall wertvoll sein. Solch tieferen Verbindungen zu schaffen, ist Aufgabe eines Designers. Ich denke, so habe ich gelernt, Relevanz, Bedeutung und Wirkung in Objekten oder Bildern zu finden.“
Wenn also das Gebirge den Kontext für das Gebäude bildet, ist es die Rennstrecke für das Rennfahrzeug?
Scully: „Exakt. Der Rahmen für ein Rennfahrzeug ist der Wettbewerb. Ich bin von Objekten fasziniert, die für den Wettkampf gebaut wurden, weil sie so zielorientiert aussehen – und es auch sind. Als Resultat daraus senden sie eine klare, eindringliche Botschaft ihrer Absicht. Für den BMW M8 GTE ist es in diesem Kontext wichtig, dass er moderne, kräftige und eindrucksvolle Formen und Farbgebungen hat. Ich glaube, dass das Fahrzeug diese Attribute erfolgreich nach außen trägt.“
Welche weiteren Herausforderungen gibt es für einen Rennfahrzeug-Designer?
Scully: „Bei BMW Design nutzen wir präzise Linien in Verbindung mit nuancierten Oberflächen, um eine Wechselwirkung zwischen beiden zu erreichen und der Form des Autos eine visuelle Struktur zu verleihen. Das Regelwerk für den BMW M8 GTE verbot allerdings, jegliche Art von scharfen Linien auf den Oberflächen hinzuzufügen, da in vielen Bereichen ein Radius von mindestens 50 Millimetern bei jeder Oberflächenveränderung vorgegeben ist. Das macht tendenziell sehr klobige, aber legitime Formen nötig. Im Rahmen dieses Projekts haben wir kontinuierlich nach Wegen gesucht, um die Vollkommenheit, Reichhaltigkeit und Präzision des Designs der BMW 8er Serienfahrzeuge zu erhalten und unter Beachtung der Regularien unsere Zielvorgaben für die Aerodynamik und das Gesamtpaket zu erreichen. Einer der Wege, wie wir das erreicht haben, ist die Gestaltung der Luftein- und -auslässe in der Karosserie: Sie erfüllen wichtige Funktionen und bringen zugleich Präzision und Struktur in die Form, die ansonsten etwas schwerer hätte werden können.“
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Ihren Kollegen der BMW 8er Serienproduktion gestaltet?
Scully: „Die Verantwortlichen bei BMW Design haben selbstverständlich intensiv Hand an den BMW 8er angelegt, was auch die GTE-Version einschließt. Zudem ist der ‚Exterior’-Designer des BMW Concept 8 Series ein guter Freund und Kollege von mir. Zu verstehen, woher er thematisch kommt, war sehr hilfreich dabei, die Kontinuität zwischen den beiden Fahrzeugen beizubehalten. Wir hatten außerdem die Chance, direkt Ideen für den BMW M8 GTE auszutauschen, der in diesem Zusammenhang eine natürliche Erweiterung der BMW 8er Linie ist. Ich denke, dass Renn- und Serienfahrzeuge in der BMW Group eine wechselseitige Beziehung haben: Viele Hersteller stellen heraus, wie sehr die Rennfahrzeuge ihre Serienautos inspirieren, auch wir machen das. Aber bei BMW inspirieren unsere Serienautos und Concept Cars auch unsere Rennfahrzeuge. Ich denke, dass dieses jedem von ihnen ihre Authentizität verleiht.“
Können Sie ein Beispiel für eine der von Ihnen genannten Wechselwirkungen geben?
Scully: „Bei den Außenspiegeln des BMW M8 GTE habe ich während des gesamten Entwicklungsprozesses darauf hingewirkt, den berühmten BMW „M Haken“, der zurück zur Mitte des Fahrzeugs läuft, in das Spiegelgehäuse zu integrieren. Es ist ein Element unserer M Serienautomobile, das bei BMW Puristen Anklang findet. Ausgehend von meiner ersten Skizze einer unteren freitragenden Stütze haben wir in einer schrittweisen Zusammenarbeit mit den Aerodynamikern ein paar deutliche funktionale Vorteile dieser Spiegelform ausmachen können. Es ergibt sich ein positiver Effekt auf den aerodynamischen Strömungsfluss entlang der Seiten des Fahrzeugs. Bei den Spiegeln haben wir damit einen gemeinsamen Bereich, in dem die Funktionalität des Rennwagens optimiert wurde, die grundlegende Designsprache und -richtung aber von den Serienmodellen kommt.“
Welches sind Ihre Lieblingsteile am BMW M8 GTE und warum?
Scully: „Wie ich schon sagte, bin ich auf die Spiegel stolz, weil sie eine eingebettete aerodynamische Funktion haben, den ikonischen M Stil weitertragen und einen modernen und zielgerichteten Ausdruck haben. Außerdem mag ich die Niere an der Front sehr, die mit ihren exponierten inneren Oberflächen der besonderen Sorgfalt und den Anforderungen eines Rennfahrzeuges gerecht wird. Die Niere erinnert mit der nach vorn geneigten Haifisch-Nase an die Historie von BMW, und indem wir sie durch freiliegende Einbauten öffnen, nehmen wir auf moderne Art Bezug darauf.“
Welchen Stellenwert nimmt der BMW M8 GTE im Vergleich zu den anderen BMW Rennfahrzeugen ein, an denen Sie gearbeitet haben?
Scully: „Der BMW M8 GTE konzentriert sich auf das Wesentliche und ist eine effiziente, wettbewerbsorientierte Maschine. Er erfüllt einen klar definierten Zweck und hat eine ausgeprägte und dynamische Persönlichkeit. Für mich ist es das ursprünglichste und entschlossenste Rennfahrzeug, das wir je gebaut haben.“