Wir sind mitten im Nichts und das ist auch gut so. Um uns herum: Sand, bergeweise Sand. Eine Dünenlandschaft wie aus einem Science-Fiction Film, so trostlos und menschenleer, dass es tief in einem die ureigenen Fluchtinstinkte weckt. Vollgas und weg, irgendwohin, wo es Wasser und Vegetation gibt – oder zumindest befestigte Straßen. Wen es hier in die peruanische Wüste verschlagen hat, dem bleibt nicht viel mehr als der vorsichtige Rückzug in mildere Gefilde.
Oder man macht es so wie wir, sitzt auf dem Beifahrersitz eines MINI John Cooper Works Rally und schaut ungläubig zu, wie Jakub Przygonski die lebensfeindlichen Sand-Massen Kraft der vier angetriebenen Räder zur Rennstrecke werden lässt. Es ist Anfang Januar und das MINI Rallye-Team X-Raid hat sich zwei Tage vor dem Start der Rallye Dakar 2018 im Niemandsland 50 Kilometer hinter Lima eingefunden, um seine Fahrzeuge einem finalen Funktionstest zu unterziehen.
Beim sogenannten Shake down können die Rallye Teams auf einem vorgegebenen Abschnitt der tatsächlichen Route vorab trainieren und letzte Feinabstimmungen an den Autos vornehmen. Wir hatten die exklusive Möglichkeit, die private Rallye-Crew rund um Teamchef Sven Quandt auf den ersten Metern der wohl härtesten Offroad-Veranstaltung der Welt zu begleiten.
Muskelbepackt und angriffslustig steht der Mini John Cooper Works Rally im provisorisch zwischen den Begleit-Trucks aufgeschlagenen Camp. Die Karosserie erinnert an den serienmäßigen Mini Countryman – allerdings an ein Exemplar, das seine SUV-Herkunft geschickt durch eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft zu verschleiern weiß.
Mini John Cooper Works Rally: Sechszylinder-Diesel mit 340 PS und 800 Nm
Unter der ultraleichten Carbon-Kevlar-Hülle steckt dann auch pure Rallye-Technik: Mit 340 PS und 800 Nm Drehmoment kann der TwinPower Sechszylinder-Turbodiesel von BMW über ein sequentielles Sechsgang-Renngetriebe alles durchpflügen, was den vier angetriebenen Stollenreifen als Untergrund genügt. Rund 1.850 Kilo wiegt der Mini John Cooper Works Rally im Rennbetrieb. Soweit die Theorie.
Ein X-Raid-Techniker bedeutet uns, dass es nun an der Zeit sei, T-Shirt und Hose bei brühenden 30 Grad gegen einen gut gefütterten Rennanzug zu tauschen. Einige Minuten später klettern wir in den blau-roten Orlen-Mini mit der Startnummer 312, dem Arbeitsgerät des polnischen Rallye-Rennfahrers Jakub Przygonski, der nach diversen Dakar-Einsätzen auf dem Motorrad nun zum dritten Mal am Steuer eines Autos teilnimmt. „Kuba“, wie der 32-Jährige hier genannt wird, hat heute bereits einige Trainingsrunden absolviert und wirkt völlig entspannt – obwohl ihm zwei harte Wochen Dakar-Dauereinsatz mit völlig ungewissem Ausgang bevorstehen.
Routiniert legt Kuba im puristischen Carbon-Cockpit ein paar Schalter um und weckt das rau fauchende Herz des Rallye-Countryman. Wir sind fest in den Rennsitzen verzurrt und ahnen bereits, dass wir den im Stand noch als störend wahrgenommenen Mangel an Bewegungsfreiheit auf den folgenden Kilometern zu schätzen lernen werden.
Schließlich marschiert der Mini John Cooper Works Rally hinaus auf den Kurs, erst noch ganz gesittet im Schritttempo – und dann nicht mehr. Kuba gibt Gas. Vollgas. Die vier Reifen krallen sich in den Sand als sei jedes lose Korn ein Meter Rennasphalt. Dröhnend, Getriebe-kreischend und nach Traktion geifernd schießt der Über-Offroader hinaus in die Wüste und lässt den ersten seichten Dünenanstieg mit lässiger Arroganz und zwei tiefen Spurrillen hinter sich zurück.
Es folgt ein wilder Ritt über eine mit Gestein übersäte Tal-Ebene, der die in unserem autobahnverwöhnten Kopf gespeicherten physikalischen Erfahrungswerte aufwirbelt, für ungültig erklärt und mit neuen, unwirklichen Eindrücken überschreibt. Vermeintlich glatte Streckenabschnitte im Wüstensand werden zur schwingenden Herausforderung für die massiven Federbeine, während der Dakar-Mini tief ausgegrabene Geröll-Durchfahrten hinter sich lässt als wären sie eine Illusion, eine Taktik dieses peruanischen Hinterlandes, gemacht um menschliche Eindringlinge unmissverständlich zum Umkehren zu bewegen.
Dann kehrt Kuba tatsächlich um. Zumindest fast. Ein gezielter Gasstoß wirft den Mini John Cooper Works Rally im 90-Grad-Winkel über einen flachen Dünenkamm. Rutschen, Seufzen, Schalten. Der Drehzahlmesser über dem nüchternen Info-Display empfiehlt alle paar Sekunden krachende Gangwechsel, der digitale Tacho hetzt in den dreistelligen Bereich. Mit über 160 km/h schießen wir plötzlich einem gewaltigen Gebirge aus Sand entgegen, mal gerade, mal quer im langgezogenen Allrad-Drift.
Der Steigungswinkel wird steiler und die Erdanziehungskraft macht immer deutlicher, was sie mit Kuba und dem Rallye-Mini anstellen würde, hätten wir nicht die Geländetauglichkeit eines Rallye-Prototypen und die Fahrerfahrung eines achtfachen Dakar-Teilnehmers auf unserer Seite. Irgendwann verschwinden die gelben Sand-Massen aus unserem Sichtfeld und da ist nur noch blauer Himmel. Ohne Orientierungspunkte, ohne Aussicht auf festen Grund. Wir heben ab und lassen den allesverhüllenden Staub, die Wüste und das Abenteuer Rallye Dakar 2018 für einen Moment hinter uns. Dann folgt der Aufprall.
Krachend taucht der Mini in den Sand, kehrt zurück in die harte Realität. Endlose Federwege heißen uns noch einmal vergleichsweise sanft in dieser menschenfeindlichen Einöde willkommen. Es ist alles beim Alten. Nur den Fluchtinstinkt – den haben wir an Bord des Mini John Cooper Works Rally 2018 hinter uns gelassen.
Jonas Eling