Selten wurde das Fahrverhalten eines neuen BMW M5 mit so großer Spannung erwartet wie im Fall des F90. Für den ersten Fahrbericht mit der sechsten Generation der Power-Limousine waren wir kürzlich in Estoril, denn im kalten Mitteleuropa wäre auf Winterreifen kaum ein aussagekräftiger Test möglich gewesen. Und natürlich haben auch wir uns mit vielen offenen Fragen in den Flieger gesetzt: Ein BMW M5 mit Allradantrieb – kann das gut gehen? Und vor allem: Kann das Spaß machen und jene Agilität vermitteln, die die bisherigen fünf Generationen zum Fahrspaß-Benchmark ihrer Klasse gemacht hat?
Die Antworten könnten von manchen Puristen und den Anhängern einer eher traditionellen Technik-Philosophie durchaus mit etwas gemischten Gefühlen aufgenommen werden. Denn wer auf eine klare Antwort im Sinne von “Früher war alles besser!” hofft, hat die Rechnung ohne die Ingenieure der M GmbH gemacht: Was der Allradantrieb M xDrive im neuen BMW M5 F90 auf den Asphalt zaubert, stellt die Performance der heckgetriebenen Vorgänger so klar in den Schatten, dass man beinahe Mitleid haben könnte. Was sich natürlich verbietet, denn angesichts ihrer unbestrittenen Leistungen haben die ersten fünf Generationen jede Menge Respekt, aber ganz sicher kein Mitleid verdient.
Fahrbericht BMW M5 F90: Mühelos schnell dank M xDrive
Dennoch ist schon nach kurzer Zeit klar: Der neue BMW M5 F90 wird nicht nur beim Sprint aus dem Stand der bisher schnellste Vertreter der M5-Familie sein, auch auf der Rennstrecke muss er keinen seiner fünf Vorgänger fürchten. Doch was sich eines Tages in den Rundenzeiten auf diversen Rennstrecken zeigen wird, dürfte die wahre Überlegenheit der sechsten M5-Generation lediglich andeuten: Wie groß der Schritt nach vorn wirklich ist, hängt entscheidend von den Fähigkeiten des Fahrers ab. Und je weniger Bruno Spengler, Marco Wittmann, Timo Glock oder Martin Tomczyk im eigenen Fahrstil steckt, umso eklatanter wird der Unterschied.
Oder anders: Wer mit dem direkten Vorgänger auf der Rennstrecke eine schnelle Zeit erzielen wollte, brauchte nicht nur Gespür für die richtige Linie und das Potenzial der Reifen an Vorder- und Hinterachse – er brauchte auch einen besonders feinfühligen Gasfuß, denn wie alle derart potenten Hecktriebler brachte auch der M5 seine Hinterreifen stets an die Grenze zur Überforderung. Spätestens bei deaktiviertem DSC hieß das für die meisten Fahrer, dass sie lieber ein paar Prozent mehr Luft ließen, als sich aus Versehen ein oder zwei Prozent über dem Limit zu bewegen. Genau dieser Respektabstand zwischen dem Können des Fahrers und dem eigentlichen Potenzial des Autos wird beim neuen BMW M5 F90 kleiner ausfallen als bei all seinen Vorgängern.
Der Schlüssel hierfür ist mit einem simplen Wort zusammengefasst, das am Steuer einer über 1,9 Tonnen schweren Limousine im Grenzbereich besonders wichtig ist: Vertrauen. Gemeint ist damit vor allem das Fehlen von Angst vor bösen Überraschungen. Denn das Fahrverhalten des neuen BMW M5 F90 ist geprägt von gnadenloser Berechenbarkeit und dem Gefühl, kaum etwas falsch machen zu können. Der rechte Fuß war am Kurvenausgang doch etwas übereifrig, der V8-Biturbo noch etwas leistungsbereiter als gedacht oder der Asphalt im Morgengrauen noch ein wenig feucht? Nichts davon scheint den M5 aus der Ruhe bringen zu können. Statt in einer solchen Situation wild mit dem Heck zu wedeln und die Reaktionsfähigkeit des Fahrers auf die Probe zu stellen, hämmert er sich mit lässiger Souveränität aus der scheinbaren Problemzone.
Dabei wirkt die Lässigkeit, mit der der neue Allradantrieb M xDrive selbst grobe Fehler ausbügelt, fast schon provokant. Egal wie wild man den M5 über die Rennstrecke prügelt, das zentrale Steuergerät zur Regelung von Kraftverteilung, Hinterachs-Quersperre und DSC lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Kleinere Drifts über alle vier Räder, die für ein größeres Grinsen keineswegs nachteilig sind, lässt die Elektronik dabei gerne zu. Wer sich im Fahrmodus 4WD Sport befindet, kann mit entsprechendem Gaseinsatz in gewissen Grenzen auch klassisches Leistungsübersteuern provozieren und leicht quer aus Kurven herausbeschleunigen. Allerdings neigt der M5 auch in diesem Zustand nie dazu, die Kraft übermotiviert in Rauch aufgehen und dadurch Vortrieb vermissen zu lassen. Stattdessen beschleunigt der M5 dank genügend Kraft an der Vorderachse auch in einer solchen Situation so vehement, dass die Hinterräder schnell wieder Fuß fassen.
Hat man sich an die enorme Traktion gewöhnt und sich von den bisher ratsamen Verhaltensmustern am Steuer eines BMW M5 verabschiedet, wird der Kopf frei für andere Aspekte. Dann wird langsam klar, was die zweite große Stärke des M xDrive ist: Obwohl er der Limousine Traktion ohne Ende beschert, fühlt man sich im BMW M5 F90 nicht wie am Steuer eines Allradlers. Die Agilität und Präzision des Vorderwagens ist gerade im Vergleich zu anderen Allrad-Fahrzeugen eine Wucht, das Einlenken und das spontane Umsetzen in den Schikanen der Rennstrecke von Estoril nicht nur im Kontext einer 1,9-Tonnen-Limousine beeindruckend.
Für den 2WD-Modus, der die Limousine auf Knopfdruck zum Hecktriebler macht, bleibt vor diesem Hintergrund nur eine Nebenrolle: Für Show-Einlagen mit viel Qualm ist der Heckantrieb unverzichtbar, für schnelle Rundenzeiten und souveränes Fahren im Alltag aber eher hinderlich. Für die große Mehrheit der M5-Kunden dürfte der 2WD-Modus daher vor allem ein Hightech-Trostpflaster sein, das den Umstieg auf den Allrad-M5 emotional erleichtert – dass der klassische Antrieb nach einer kurzen Probier- und Eingewöhnungszeit noch regelmäßig genutzt wird, dürfte aber die absolute Ausnahme sein. Die Sonderrolle des 2WD-Modus wird auch daran ersichtlich, dass man ihn nur bei komplett deaktiviertem DSC aktivieren kann. Da die Fahrt ohne das elektronische Sicherungsnetz für die meisten Kunden keine auf Dauer sympathische Lösung darstellt, wird die Heckantriebs-Option noch stärker zum Show-Element.
Dass der in Garching entwickelte Allradantrieb so glänzen kann, hängt natürlich auch mit den übrigen Komponenten des Gesamtpakets BMW M5 zusammen. Genügend Kraft, um auch vier Räder ausreichend zu beschäftigen, liefert der intensiv weiterentwickelte V8-Biturbo mit 4,4 Liter Hubraum. Die neueste Ausbaustufe des intern S63 genannten Triebwerks wirft ihre 600 PS und 750 Newtonmeter scheinbar völlig mühelos auf die Kurbelwelle und erleichtert damit auch den Job der Achtgang-Wandlerautomatik von ZF: Welcher Gang anliegt, ist dank des enormen Drehmoment-Plateaus fast egal. In den langgezogenen Kurven von Estoril heißt das: Statt sich in unmittelbarer Nähe des Drehzahllimits entlangzuhangeln, fährt man oft einfach im nächsthöheren Gang, ist auch nicht langsamer und kann sich beim fulminanten Herausbeschleunigen am Kurvenausgang einen Schaltvorgang sparen. So tragen Motor und Getriebe ihren Teil dazu bei, dass sich der neue BMW M5 F90 so einfach schnell fahren lässt wie keiner seiner Vorgänger.
Und auch wenn es bei einem Auto wie dem BMW M5 nicht selten darum geht, dem Alltag zu entfliehen, spielt die Alltagstauglichkeit für viele Kunden eine zentrale Rolle. Auch in dieser Hinsicht gelingt dem BMW M5 ein großer Schritt nach vorn. Er profitiert dabei vom Technik-Paket des 5er G30, mit dem er sich sämtliche Sicherheits- und Assistenzsysteme teilt. In der Praxis heißt das: Auch im BMW M5 kann man teilautonom fahren, von der Abstandsregelung bis zum Spurwechsel beherrscht die Limousine alles, was heute technisch möglich ist. Das Fahrwerk punktet dabei mit einem unerwartet sanften Abrollverhalten und bietet mehr als ausreichenden Langstrecken-Komfort. Hierzu passt auch die Option, den Sound des M5 F90 auf Knopfdruck weiter zu drosseln. Generell ist die Limousine akustisch auffällig zurückhaltend und verzichtet auf unnötigen Krawall. Wer den Schwerpunkt des M5 also eher im Bereich der Power- als der Business-Limousine sieht, sollte sich gleich mit einer Nachrüst-Lösung anfreunden.
Wer nach einer weitestgehend autonom und daher völlig entspannt absolvierten Fahrt auf portugiesischen Autobahnen wieder im dichten Stadtverkehr von Lissabon ankommt, wird von den roten M-Knöpfen am Lenkrad an das enorme Potenzial der Limousine erinnert: Wenn die Ampel auf Grün springt, könnte der M5 innerhalb von 3,4 Sekunden im dreistelligen Geschwindigkeitsbereich sein und gemeinsam mit dem einen oder anderen Liter Sprit auch gleich den eigenen Führerschein verschlucken. Es ist diese Ambivalenz aus Alltagstauglichkeit und Performance, die schon immer für die besondere Faszination eines BMW M5 gesorgt hat. So brutal wie im Fall eines Launch Control-Starts am Steuer der sechsten Generation war sie allerdings nie zuvor erlebbar.