In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung “Der Standard” äußert sich der ehemalige Chef-Volkswirt des BMW-Konzerns zu den Kartell-Vorwürfen, die unter anderem Der Spiegel in seiner aktuellen Titel-Geschichte erhebt. Helmut Becker war bis 1997 fast 10 Jahre lang an der strategischen Planung von BMW beteiligt. Gleich in seiner ersten Antwort betont Becker, nie etwas von geheimen Zirkeln in der Autoindustrie gewusst zu haben. Absprachen untereinander seien jedoch normal gewesen: “Es gab zahlreiche Arbeitskreise, in denen sich die Branche in Deutschland ausgetauscht hat. Ich saß selber in zwei Arbeitskreisen”.
Seit Bekanntwerden der Vorwürfe ist das volle Ausmaß der Kartell-Affäre noch nicht abzusehen. Helmut Becker skizziert im Interview zwei mögliche Szenarien. Es könne sein, dass Der Spiegel als Produkt des jährlichen Sommerlochs über “in der Branche stinknormale Arbeitskreise” berichtet habe. Die andere Möglichkeit sei, dass die Vorwürfe stimmten.
Für die bekanntgewordenen Selbstanzeigen von Volkswagen und Daimler hat Becker ebenfalls eine mögliche Erklärung: “Ich gehe davon aus, dass sich VW prophylaktisch selbst angezeigt hat, um wegen völlig harmloser Arbeitskreise nach der Dieselaffäre nicht in den Verdacht kartellrechtlich relevanter Absprachen zu kommen”. Daimlers Anzeige aus dem Jahr 2014 sei womöglich eine vorsorgliche Reaktion auf das aufgeflogene LKW-Kartell von 2011. Wegen verbotener Preisabsprachen auf dem Lastwagen-Markt mussten die Stuttgarter im vergangenen Jahr eine Strafe von über einer Milliarde Euro zahlen.
In einer offiziellen Stellungnahme hatte BMW bereits vor drei Tagen die Vorwürfe zurückgewiesen, nach denen sich die Autobauer untereinander über die Größe von “AdBlue”-Tanks in Dieselfahrzeugen abgesprochen hätten. Auch in der Abgasreinigung suche die BMW Group den Wettbewerb: Die komplexeren Systeme zur Abgas-Nachbehandlung hätten dafür gesorgt, dass Dieselmotoren der BMW Group auch mit kleineren AdBlue-Einspritzmengen alle Anforderungen erfüllen konnten.
Ganz gleich wie sich die Kartell-Affäre in den kommenden Tagen und Wochen entwickelt: einen Image-Schaden werden die an den Gesprächskreisen beteiligten Autobauer wohl kaum noch abwenden können. Helmut Becker sieht den möglichen Konsequenzen jedoch gelassen entgegen, sollten sich die Vorwürfe erhärten: “deshalb wird kein einziges deutsches Auto weniger gekauft in Zukunft”. Bleibt zu hoffen, dass die Entwicklungen der nächsten Zeit Beckers Gelassenheit nicht weiter auf die Probe stellen.