Am Sonntag werden die Klassiker des Concorso d’Eleganza plötzlich ganz nahbar. Zum Schlusstag der Schönheitskonkurrenz öffnet sich die exklusive Veranstaltung in den weitläufigen Parkanlagen der Villa Erba gleich neben dem Grand Hotel Villa d’Este einem breiten Publikum. Schon am Morgen zeugen Schlangen am Einlass vom Interesse der Touristen und Einheimischen, selbst einen Blick auf die exquisite Fahrzeugauswahl zu werfen, die da jedes Jahr zusammenkommt. Unter dem Eindruck des gestrigen Tages mit seinen wiederentdeckten Maseratis und millionenteuren Rolls-Royce Unikaten beschließen wir, in unserem BMW 4er Cabrio die Weiterreise nach München anzutreten. Zurück in die Realität, raus aus unserer feinen und durchaus lieb gewonnenen Welt des automobilhistorischen Überschwangs.
Auf den ersten Kilometern ist es still im Auto. Ein wenig Fahrtwind und der ungefilterte, kernige Klang mehrerer britischer Roadster, die vor uns die Seeuferstraße entlang flanieren, bieten akustische Abwechslung. Wir schwelgen in der hinreißenden Unbeschreiblichkeit des Erlebten. „Dreh um, da war eine super Foto-Location!“ Hanna holt unsere Gedanken zurück. Während sie fotografiert, gebe ich per Touchpad unser heutiges Ziel ein: Die Münchner BMW-Welt. Über das auf der Hinfahrt eilig durchkreuzte Sankt Moritz wollen wir weiter in Richtung Innsbruck und dann per Fernpass nach Garmisch-Partenkirchen und München – angesichts des anschwellenden Feiertagsverkehrs ein ambitionierter Plan.
Wer im Cabrio verreist, findet ganz von selbst die reizvollsten Landstraßen abseits zweckmäßiger Autobahnen, die bei geöffnetem Verdeck auch mit dem besten Windschott nur bedingt Freude bereiten. Doch auf den letzten Kilometern entlang des Comer Sees haben wir ohnehin erst einmal andere Sorgen: Kein Kiosk, kein Supermarkt und kaum eine Tankstelle hat an diesem Sonntag Ende Mai geöffnet. Während sich der BMW 420d von seiner gewohnt genügsamen Seite zeigt und mindestens bis Österreich noch ohne zweite Tankfüllung auskommt, suchen wir bei 31 Grad eine frische Flasche Wasser. Am obersten Ende des Lago werden wir schließlich fündig.
Keine Landschaft in Europa wandelt sich so schnell und beeindruckend wie auf den rund 60 Kilometern zwischen der Spitze des Lago di Como und dem hochalpinen Sankt Moritz. Wir genießen das von vereinzelten Tunneln unterbrochene Schauspiel auf den komfortablen BMW-Sportsitzen. Die „Sport Line“-Ausstattung unseres Testwagens und optionale M-Komponenten wie Lenkrad und Fahrwerk ändern nichts an der überzeugenden Cruiser-Charakteristik des Motors. Rasen können andere, zum Beispiel die Motorradfahrer, die besonders auf der italienischen Seite wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm vorbeifliegen.
Das Navigationssystem kündigt mit seismographisch-zackigen Kurven den Maloja-Pass an. Wir wagen einen kurzen Ausflug in den Sport Plus-Modus, lassen uns von der punktgenauen Sportlenkung die Kurven hinaufführen. Für ausladende Drift-Orgien wie sie der Schweizer AMG-SL im Rückspiegel vollzieht, wurde unser Diesel-Vierer nicht gebaut – warum auch? Im querdynamischen Bereich sind die Münchner mit vielen anderen Modellen bestens aufgestellt. An einer Haltebucht lassen wir den übermütigen Alpinisten vorbeiziehen.
Allmählich legt sich die Spätnachmittagssonne mit langen Schatten über die romantische Bergwelt. Lenkradheizung, Sitzheizung und der bewährte Nackenwärmer sorgen für eine wohlige Atmosphäre. Hanna macht sich an der Musikauswahl zu schaffen und folgt nach ein paar Klicks durch die Online-Mediathek mit Johnny Cash bewährten Roadtrip-Klischees. Oben am Silsersee übernimmt einmal mehr die zuverlässige Aktive Geschwindigkeitsregelung die Koordination von Tempolimits und Abstand und passt ihren Enthusiasmus dabei gekonnt dem gewählten Fahrmodus an.
Nach einem letzten Foto-Halt im blitzsauberen, menschenleeren Bergdorf Sent in dem das Titelbild unseres heutigen Roadtrip-Teils entstanden ist, verlassen wir die Schweiz und fahren in Österreich die erste Tankstelle seit Reisebeginn an. Gegen halb neun erreichen wir schließlich den Fernpass nach Garmisch, unsere letzte Bergetappe. Im Viertelstundentakt portioniert an diesem geschäftigen Abend der Leermoser Tunnel den Verkehr. Stillstand mit Blick auf die sonnenbeschienene Zugspitze. Mit Blick auf die Uhr erübrigt sich unsere Vision vom abendlichen Münchner Biergartenbesuch. Kaminwurz von der Raststätte statt Weißwurst und Brezen – doch das ist nach vier Tagen Reise an der frischen Luft irgendwie auch in Ordnung.
Für die schnelle Autobahnfahrt in die bayerische Landeshauptstadt betätigen wir etwas widerwillig den Verdeckschalter und beobachten noch einmal, wie sich über unseren Köpfen in gewohnter Eleganz die Dachelemente auffalten. Linear beschleunigt der Testwagen auf weit über 200 km/h und überzeugt auch im Hochgeschwindigkeitsbereich durch seinen stoischen Geradeauslauf. Den schnellen Weg nach Hause beherrscht der offene Vierer so elegant wie das entspannte Cruisen im Hochsommer. An der BMW-Welt angelangt fällt unser Fazit einhellig aus: Wer sich mit dem dezenten Nageln des Dieselmotors arrangieren kann und ohne den brabbelnden Soundtrack einer Sport-Abgasanlage auskommt, findet im BMW 420d Cabrio einen emotionalen Reise- und sparsamen Alltagsbegleiter. „Klappdach-Cabrios sind eine unterschätzte Spezies“, resümiert Hanna unseren Ausflug nach Italien. „Eigentlich wie geschaffen für eine eigene Kategorie auf dem Concorso d’Eleganza 2060“.
Text: Jonas Eling
Fotos: Hanna Coco
Bildbearbeitung: Benjamin Axtmann
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