Politik und Taktik spielen im Motorsport seit Einführung der Balance of Performance eine noch größere Rolle als jemals zuvor. Wer eine schlechte Einstufung des eigenen Fahrzeugs vermeiden möchte, legt vor dem wichtigsten Rennen des Jahres niemals alle Karten auf den Tisch. Und weil jedes Team eine schlechte Einstufung vermeiden möchte, kann man von einem Umstand sicher ausgehen: Im Vorfeld 24h-Rennens auf dem Nürburgring 2017 wird kein Auto die vollen 100 Prozent seines Performance-Potenzials offen zeigen. Das sogenannte “Sandbagging” beschreibt diese Strategie sehr anschaulich: Die Teams legen sich virtuelle Sandsäcke ins Auto, die erst beim wichtigsten Rennen des Jahres entfernt werden und plötzlich für Rundenzeiten sorgen, die bisher nicht möglich schienen.
BMW Motorsport hat es in den letzten Jahren meist vermieden, die offensichtliche Sandbagging-Strategie zu fahren und auch in den Rennen vor dem 24-Stunden-Klassiker auf der Nürburgring Nordschleife Vollgas gegeben. Für Ergebnisse wie den Vierfach-Sieg beim Qualifikations-Rennen 2014 wurden die BMW beim deutlich wichtigeren 24-Stunden-Rennen indirekt bestraft, weil die Balance of Performance auf der Suche nach Chancengleichheit angepasst wurde: Zugeständnisse für andere Teams und Einschränkungen für BMW waren die Folge.
Dieses Jahr hatte man bei BMW Motorsport offenbar keine Lust auf das gleiche Spiel und sich entschieden, selbst ein paar Kohlen aus dem Feuer zu nehmen. Die BoP-Regelhüter des ADAC können diesem Strategiewechsel allerdings wenig abgewinnen – und bestrafen die Münchner nun für das bisher schwache Abschneiden des BMW M6 GT3 in der VLN. Für das 24h-Rennen 2017 erhalten die M6 ein Zusatzgewicht von 10 Kilogramm, außerdem wird die Motorleistung durch eine Reduzierung des maximalen Ladedrucks um rund 5 PS reduziert.
Das gleiche “Strafmaß” – formal handelt es sich natürlich nur um eine Anpassung der Balance of Performance – betrifft den Mercedes-AMG GT3, auch hier glauben die Regelhüter an Sandbagging. Mit besseren Voraussetzungen als bisher dürfen hingegen die Audi R8 LMS und Porsche 911 GT3 ins 24-Stunden-Rennen starten. Hier glaubt der ADAC, dass bereits alle oder zumindest die allermeisten Karten auf dem Tisch liegen und möchte eine Benachteiligung der Teams ausschließen: Mehr Leistung für Porsche und ein etwas größerer Tank für Audi sollen die Chancengleichheit sicherstellen.
Ob die Strategie aufgeht und die Balance of Performance wirklich für gleiche Chancen auf der Nürburgring Nordschleife sorgt, lässt sich erst im Lauf des Rennens sagen. Bisher stochern alle Beteiligten zwangsläufig im Nebel, weil niemand die exakten Kräfteverhältnisse kennt – das Prinzip des Sandbagging kann schließlich mehr oder weniger stark verfolgt werden und es ist für Außenstehende praktisch unmöglich, ein unverfälschtes Bild zu erlangen. Sicher ist allerdings, dass sich die Gegner von BMW Motorsport in den letzten Jahren nicht über eine zu starke Einstufung der Münchner beschweren konnten. Ob das 2017 im Fall des M6 GT3 anders aussieht oder ob BMW Motorsport durch die jüngste BoP-Korrektur mal wieder zum Zuschauen verdammt ist, wenn andere GT3-Fahrzeuge den Sieg unter sich ausmachen, erfahren wir in zweieinhalb Wochen.