Die Geschichte des ersten BMW 3er Touring unterscheidet sich grundlegend von der Entstehungsgeschichte gewöhnlicher Automobile eines Großserienherstellers. Dass es überhaupt dazu kam, verdanken die Münchner vor allem Max Reisböck: Der gelernte Karosseriebauer fand Anfang der 80er-Jahre einfach nicht das passende Modell in der Münchner Produktpalette und beschloss daraufhin, selbst tätig zu werden und sein Traumauto mit eigenen Händen zu realisieren.
Wie es dazu kam, welche Hürden zu überwinden waren und was der VW Passat damit zu tun hat, lest ihr in unserem Interview. Getroffen haben wir Max Reisböck im Rahmen der Premiere des BMW 3er Facelift 2015, bei der auch der 40. Geburtstag der BMW 3er-Reihe gefeiert wurde.
BimmerToday.de: Hallo Herr Reisböck! Sie gelten allgemein als Erfinder des BMW 3er Touring, wie kam es damals zu dieser Entwicklung?
Das war eigentlich eine familiäre Entscheidung, denn mit unseren zwei Kindern gab es auf jeder Fahrt in den Urlaub Probleme mit dem Gepäck. Der 3er mit Stufenheck war dafür einfach nicht das richtige Auto, aber die größeren Baureihen wie den 7er konnte ich mir nicht leisten. Da dachte ich mir, dass ein Kombi ideal wäre, aber BMW hatte keinen Kombi. Der nächste Gedanke war “dann bau ich halt selber einen!”, denn ich bin ja gelernter Karosseriebaumeister und war damals schon acht Jahre im Prototypenbau bei BMW. Irgendwann habe ich mich dann entschieden, diesen Touring wirklich selbst zu bauen.
BimmerToday.de: Das klingt jetzt sehr einfach, aber ganz so simpel war das in der Praxis sicherlich nicht?
Ja, das ist natürlich schon ein komplexes Thema. Aber es ist tatsächlich ein Auto, das wir ohne technische Zeichnung realisiert haben. Ich hatte das wirklich nur im Kopf, habe dann Teile vom Stufenheck abgeschnitten und andere angesetzt, denn ich wollte auf keinen Fall neue Teile benötigen. Neue Teile zu fertigen ist sehr aufwändig und entsprechend teuer – und das ging nicht, denn ich hatte mit meiner Frau ein Budget von 30.000 D-Mark vereinbart. Damals wusste ja keiner, ob das Projekt nicht in die Hose geht und dann wäre das ganze Geld weg gewesen. Ich musste das Auto also möglichst billig und möglichst gut bauen, was mir im Nachhinein betrachtet auch gelungen ist. Ich musste aber tatsächlich alles spiegelbildlich umdrehen, um keine neuen Teile anfertigen zu müssen.
BimmerToday.de: Konnten Sie wirklich alle dafür benötigten Teile in den BMW-Regalen finden oder selbst anfertigen?
Das war nicht einfach, aber sehr wichtig um das Auto zulassen zu können, denn Sie brauchen dafür überall Prüfzeichen. Besonders bei den Scheiben war das schwierig, vor allem an der Heckscheibe – BMW hatte keine passende Scheibe im Programm und eine neue anzufertigen und abnehmen zu lassen wäre viel zu teuer gewesen. Deshalb bin ich an einem Samstag auf den Parkplatz am Olympiastadion, da lief irgendein Fußballspiel und ich bin mit dem Maßband über den Parkplatz gelaufen um eine passende Scheibe zu finden. Dabei habe ich die Scheibe vom VW Passat entdeckt, die konnten wir fast unverändert übernehmen und haben sie dann natürlich auch verwendet.
BimmerToday.de: Gab es auch Sicherheitstests, die ihr BMW 3er Touring bestehen musste um zugelassen werden zu können?
Mit dem ursprünglichen Fahrzeug war ich nie auf der Straße, denn in meinem Arbeitsvertrag mit BMW gab es einen Passus: Die Firma hatte ein Vorrecht auf alles, was ich in Sachen Auto privat entwickelt habe. Daher musste ich das Auto zu BMW bringen, wo es sowohl Dr. Reitzle als auch Herr von Kuenheim sehr gut gefallen hat. Dabei ist dann aber auch der Satz “Das Auto verlässt das Unternehmen nicht mehr” gefallen, und so ist es dann ja auch gekommen. Bis die Entscheidung kam, dass mein Auto in Serie gehen soll, hat es noch einige Zeit gedauert. Mein Auto war schließlich in meiner privaten Garage entstanden, ohne die bei BMW üblichen Prozesse zu durchlaufen. Die Firma wusste auch gar nicht, wie sie damit an die Öffentlichkeit gehen soll: Erst bei der dritten Generation, also dem E46, wurde zum ersten Mal die echte Entstehungsgeschichte des Fahrzeugs erzählt. Bei den ersten beiden Generationen wurde ich gebeten, nicht darüber zu sprechen und keiner wusste richtig, wie man mit dieser ungewöhnlichen Geschichte umgehen sollte.
BimmerToday.de: Wie ist es Ihnen dann gelungen, das Management von der Serienproduktion zu überzeugen?
Das war nicht mehr meine Aufgabe, das mussten die untereinander klären. Aber offenbar hatte das Auto seine Befürworter und irgendwann kam dann die für mich sehr postive Entscheidung, den Touring in Serie zu bauen.
BimmerToday.de: Was wurde denn aus dem ersten Prototypen?
Der wurde zunächst für Festigkeitsuntersuchungen genutzt, wobei natürlich versucht wurde, ihn kaputt zu machen. Aber ich hatte das so gut hinbekommen, dass er sehr steif war. Irgendwann wurde dann ein Transport-Crashtest mit vollem Kofferraum gemacht, da ging er halt leider gegen die Mauer.
BimmerToday.de: Heute ist der BMW 3er Touring nicht mehr wegzudenken und gerade in Europa ein sehr wichtiges Modell. Inwiefern erfüllt Sie das mit Stolz, damals so den richtigen Riecher gehabt zu haben?
Ich sehe das schon mit einem zufriedenen Schmunzeln, denn eigentlich habe ich damals auch für die Wettbewerber die Weichen in diese Richtung gestellt. Damals entstand die Idee des Lifestyle-Kombis, bis dahin war der Kombi in erster Linie ein Nutzfahrzeug für Handwerker, das weder sportlich noch schön sein müsste. Mit meinem Kombi kam erstmals ein Lifestyle-Kombi, was dann alle anderen nachgemacht haben. Das habe ich natürlich schon mit einem bisschen Stolz beobachtet.
BimmerToday.de: Ist der Touring auch heute noch ihr Favorit unter den Karosserievarianten?
Ja, das ist er immer noch, definitiv. Gerade mit Familie ist der Touring für mich das einzige vernünftige Auto. Und der Neue sieht ja auch super aus!
Herr Reisböck, vielen Dank für das interessante Gespräch!