Die neue Generation von BMW M3 und M4 ist von Beginn an mit zwei verschiedenen Fahrwerken erhältlich: Neben dem serienmäßigen Standardfahrwerk gibt es für 1.900 Euro Aufpreis auch wieder ein adaptives Fahrwerk, dessen Spreizung allerdings noch größer ausfällt als beim Vorgänger. So können BMW M3 F80 und BMW M4 F82 auf Knopfdruck mit einer noch komfortableren oder einer noch sportlicheren Fahrwerksabstimmung als der Vorgänger unterwegs sein.
Welche Ziele BMW M bei der Entwicklung und Abstimmung des Fahrwerks verfolgt hat und welches Modell dabei als Vorbild genutzt wurde, erklärt M Ingenieur Bernd Barbisch im ausführlichen Gespräch mit M-Power.com:
Herr Barbisch, der nun abgelöste BMW M3 hatte ja bereits ein hervorragendes Fahrwerk …?
Bernd Barbisch: Der alte BMW M3 bot bereits eine sehr gute Absprungbasis. Er war Benchmark, ihn galt es zu schlagen.
Wie?
Mit Intelligentem Leichtbau konnten wir wiederum einen deutlichen fahrdynamischen Sprung nach vorne machen. Vorbild war der BMW M3 CSL, bei dem man ebenfalls mit weniger Gewicht ein Mehr an möglicher Querdynamik erreicht hat.
Die Achskonstruktion ist komplett neu und völlig M spezifisch, d. h., es gibt keinerlei Übernahmeteile aus dem Basismodell. Diese aufwendige Konstruktion erhöht signifikant Performance, Fahrbarkeit und Rückmeldung.
Prämisse war, die gute Fahrbarkeit des abgelösten BMW M3 zu erhalten und dabei die Performance noch einmal merklich zu steigern. Man wird das an den erreichten Rundenzeiten sehen.
Der neue BMW M3 und BMW M4 werden wieder mit zwei verschiedenen Dämpfersystemen angeboten: dem Standardfahrwerk und dem geregelten Adaptiven M Fahrwerk. Was ist neu?
Im Standardfahrwerk kommen neue Dämpfer zum Einsatz. Sie ermöglichen ein noch phasentreueres Ansprechverhalten im Vergleich zum Vorgängersystem und damit noch mehr Grip. Der Kunde merkt das beispielsweise deutlich bei der Fahrt über Schlechtwegstrecken.
Was versteht man unter „phasentreu“?
Ein Dämpfer setzt eine Geschwindigkeit in eine Kraft um, um das Rad am Boden zu halten. Je schneller das Rad ein- oder ausfedert, umso höher die Kraft. Wenn man sich diese Umsetzung über der Frequenz der Aufbauanregung und der Radanregung ansieht, stimmt nun die Phase zwischen Geschwindigkeit und Kraft in einem deutlich erweiterten Arbeitsbereich. Wenn die Phase zwischen Anregung und Dämpfung nicht passt, wird der Dämpfer irgendwann zur Feder – es treten erhöhte Radlastschwankungen auf und der Fahrbahnkontakt verschlechtert sich.
Und beim Adaptiven M Fahrwerk?
Bei diesem geregelten Fahrwerk wollten wir zum einen mindestens den Komfort des Vorgängers erreichen, zum anderen aber auch ganz klar eine nochmals gestiegene Sportlichkeit realisieren.
Zu diesem Zweck kommt eine noch leistungsfähigere Sensorik im Auto zum Einsatz. Beispielsweise sitzen nun an allen vier Dämpfern Radbeschleunigungssensoren, die quasi den Fahrbahnzustand ermitteln. Aufgrund dieser Daten wird nun die Dämpfung individuell an jedem Dämpfer alle 2,5 Millisekunden neu berechnet und geregelt, um jeweils das optimale Dämpfkraftniveau einzustellen – das dabei an den vier Rädern jeweils deutlich voneinander variieren kann. Ein Rad könnte also deutlich weicher, ein anderes deutlich straffer gedämpft werden.
Als Regelansatz verfolgen wir den „Skyhook“-Ansatz: Die Regelstrategie der Dämpferlogik sorgt dafür, dass das Fahrzeug sich sozusagen am Himmel orientiert. Die Dämpfung wird hierbei auf Basis der Bewegung des Gesamtfahrzeugs geregelt. Mit anderen Regelanteilen stellen wir dann die bestmögliche Straßenanbindung her. Dazu kommt ein neuer Sensorcluster im Fahrzeug zum Einsatz, der Hub, Nick- und Wankbeschleunigung misst und so die Bewegung des Fahrzeugaufbaus erfasst. Das Fahrzeug bewegt sich noch ruhiger und souveräner.
Der geregelte Dämpfer selbst wurde ebenfalls weiterentwickelt. Wir können jetzt eine noch größere Spreizung der Dämpfung darstellen – vor allem in der Druckrichtung. Um optimale Rennstreckenperformance mit Alltagstauglichkeit zu erreichen, sind wir an die Grenzen des dämpfertechnologisch Machbaren gegangen. Und dabei sind die Dämpfer aufgrund der Ausführung in Aluminium noch deutlich leichter als im Basisfahrzeug.
Es kommt nun auch ein sogenanntes Drei-Pfad-Stützlager zum Einsatz. Der Dämpfer hat einen eigenen Kraftübertragungsweg zur Karosserie – die Kräfte von Trag- und Zusatzfeder werden starr über separate Pfade übertragen.
Was hat das für einen Vorteil?
Zuvor konnte bei eingefedertem Rad die Zusatzfeder das Stützlager verschieben – dadurch befand sich der Dämpfer nicht immer im optimalen Arbeitsbereich. Durch die erreichte Entkopplung arbeitet der Dämpfer nun perfekt in Phase, unabhängig davon, ob das Rad ein- oder ausgefedert ist. So erreichen wir die maximale Anbindung der Karosserie.
Mit welcher der Stufen COMFORT, SPORT und SPORT PLUS des Adaptiven M Fahrwerks ist das Standardfahrwerk vergleichbar?
Das ist relativ schwer zu beantworten. Das Adaptive M Fahrwerk schafft es aufgrund der aufwändigen Regellogik und Sensorik, eine bessere Aufbauanbindung bei zugleich höherem Komfort darzustellen. Das ist sonst ja immer der Konflikt, den man bei der Abstimmung hat: eine möglichst gute Anbindung, um beispielsweise auf so anspruchsvollen Strecken wie der Nordschleife des Nürburgrings möglichst schnell unterwegs zu sein – aber unter Wahrung eines notwendigen Maßes an Komfort für den Alltag. Das Fahrzeug darf nicht nachschwingen, pumpen – geschweige denn an Senken/Kuppen gar abheben. Von der Aufbauanbindung her liegt das Standardfahrwerk zwischen SPORT und SPORT PLUS, vom Komfort her eher bei SPORT PLUS.
Wenn man den im Alltag wichtigen Aspekt Komfort außen vor lassen würde und nur auf die fahrdynamischen Qualitäten blickt: Ist das Adaptive M Fahrwerk auch aus dieser einseitigen Sicht überlegen?
Beim Standardfahrwerk haben wir versucht, einen bestmöglichen Kompromiss über alle möglichen Rennstreckenprofile zu finden. Mit dem geregelten Adaptiven M Fahrwerk ist hier noch eine individuellere Anpassung möglich. Auf der Nordschleife des Nürburgrings fahre ich persönlich in der Stufe SPORT. Auf einer recht ebenen Rennstrecke dagegen wäre SPORT PLUS das Optimum.
In jedem Fall gilt: Bei extremem Grip-Potenzial bleiben der neue BMW M3 und BMW M4 dennoch stets gut fahrbar.
Die durch die Sensoren gemessenen Daten beeinflussen ja dynamisch die Abstimmung des Fahrwerks. Man könnte sagen: Das Standardfahrwerk wurde einmal abgestimmt, das Adaptive M Fahrwerk optimal alle 2,5 Millisekunden?
(Lacht). Richtig.
Kann das auch zu einem Überlappen der Einstellbereiche führen? Also dass auch bei einer Einstellung COMFORT das Fahrwerk deutlich gestrafft wird, wenn entsprechende Fahrmanöver das erfordern?
Es gibt Manöver, bei denen auch in COMFORT-Einstellung so sportlich wie in SPORT und SPORT PLUS geregelt wird. Dann wird das maximale Dämpfkraftpotenzial genutzt, unabhängig von der Einstellung.
Was wären das für Fahrmanöver?
Anlenken, Spurwechsel, Slalom etc.
Sie sagten ja schon, dass Sie selbst auf der Nordschleife des Nürburgrings im Modus SPORT fahren, auf ebenen Rennstrecken in SPORT PLUS. Und wenn Sie im Alltagsverkehr unterwegs sind …?
Fahre ich definitiv in der Einstellung KOMFORT. (Lacht). Der neue BMW M3 und BMW M4 starten ja erstmals nun im Modus SPORT. Mein M1-Button am Lenkrad ist vorbelegt mit DSC OFF, Lenkung und Dämpfer in COMFORT.
Sie waren ja am Nürburgring letztes Jahr bei Abstimmfahrten mit dem DTM-Piloten Bruno Spengler unterwegs. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Es war bemerkenswert, wie schnell sich Bruno ans Limit herangetastet hat. Das zeichnet den BMW M3 und BMW M4 auch für den Normalfahrer aus: Das Auto bleibt trotz des extremen Grip-Potenzials stets gut fahrbar. Das ist sonst immer die Schwierigkeit: Je enger ich mich mit der Balance des Autos der Grenze des physikalisch Machbaren nähere, umso größer die Herausforderung, das Auto sofort schnell bewegen zu können. Beim neuen BMW M3 und BMW M4 sieht man: Die Fahrer steigen ein, fahren los und sind sofort z. B. auf der Rennstrecke schnell unterwegs. Das ist auch ein wesentlicher Aspekt der M Philosophie: das Fahrverhalten – die Fahrzeugreaktionen müssen stets vorhersagbar sein und so sofort Vertrauen vermitteln.
Haben die Erprobungsfahrten mit Bruno Spengler und Timo Glock dazu beigetragen?
Bruno hatte noch eine Anregung in Bezug auf die Quersteifigkeit des Reifens, die wir umgesetzt haben. Auch den Input des ehemaligen Formel-1-Fahrers Timo Glock in Richtung der Lenkung wurde berücksichtigt.
Es war spannend zu sehen, wie schnell und weitgehend die Sicht der Rennfahrer und unsere als Abstimmer zur Deckung gebracht werden konnten.
Herr Barbisch, vielen Dank für das Interview.
(Fotos & Interview: M-Power.com)