Als die Neue Klasse auf den Markt kam und die Marke BMW für immer veränderte, ahnte niemand wie sich die Mittelklasse in den kommenden Jahrzehnten entwickeln sollte. Erst die zweite Generation der 3er-Reihe brachte Abwechslung in die Karosserievarianten, davor gab es nur die zweitürige Limousine. Aus dieser klassischen Variante wurde später das Coupé, es folgten Viertürer, Touring und Cabrio. Noch mehr Wahlmöglichkeiten brachte schließlich die aktuelle Generation, denn die nunmehr in 3er- und 4er-Reihe unterteilte Mittelklasse bietet insgesamt nicht weniger als sechs Varianten.
Für die besonders sportlichen Modelle haben die Marketing-Strategen in München die gerade Ziffer 4 reserviert, die ähnlich wie bei der 2er- und 6er-Reihe mehr Eigenständigkeit und Exklusivität vermitteln soll. Mindestens so wichtig wie die erfahrbare Dynamik ist das Thema Design, das die Modelle der 4er-Reihe zum Hingucker machen soll. Dass diese Aspekte keineswegs im Widerspruch zu praktischen Qualitäten stehen müssen, soll nun das neue BMW 4er Gran Coupé F36 beweisen:
Für den ersten Fahrbericht sind wir den viertürigen 4er auf den Straßen rund um Bilbao gefahren, zur Verfügung gestellt wurde uns ein BMW 428i mit M Sportpaket und Achtgang-Sportautomatik. Die blaue Lackierung glänzt in der spanischen Sonne, die Front mit M Paket betont die im Vergleich zur 3er-Reihe sportlicheren Proportionen: Das 4er Gran Coupé ist 2,4 Zentimeter breiter und zugleich vier Zentimeter flacher, was für einen stämmigeren Auftritt sorgt. Wer diesen 4er im Gegenverkehr erblickt, dürfte kaum an einen Viertürer denken.
Im Innenraum merkt man von den geringfügig abweichenden Abmessungen herzlich wenig, hier sorgt vor allem die niedrigere Sitzposition für etwas sportlicheres Flair. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Reihe gibt es beinahe so viel Kopf- und Kniefreiheit wie in der 3er Limousine, spürbar mehr Platz bietet nur der Dank längerem Radstand deutlich luftigere, aber auch weniger graziös auftretende BMW 3er GT. Im Fond des BMW 4er Gran Coupé liegt der Fokus auf den deutlich ausgeformten Sitzen rechts und links, der Platz in der Mitte ist eher symbolischer Natur.
Keineswegs symbolischer Natur ist der Kofferraum, der sich unter der weit aufschwingenden Heckklappe verbirgt und mit einem Volumen von 480 bis 1.300 Liter kaum Wünsche offen lässt. Dank der bis zum Dach reichenden Heckklappe lässt sich das Gepäckabteil sogar besser beladen als bei der klassischen BMW 3er Limousine, was dem schönen Viertürer ein auf den ersten Blick kaum erahnbares Maß an Variabilität beschert.
Die im Vergleich zum 3er etwas breitere Spur des BMW 4er Gran Coupé legt den Grundstein für ein auf Wunsch noch dynamischeres Fahrverhalten, auch im etwas schneller gefahrenen Alltag dürften aber nur die wenigsten Kunden das zusätzliche Potenzial ausnutzen. Mit dem optional erhältlichen adaptiven Fahrwerk beherrscht der dritte 4er auch in Kombination mit dem M Paket den Spagat zwischen Komfort und sportlicher Härte, der schärfere Auftritt verlangt also nicht zwingend mehr Kompromissbereitschaft beim Abrollverhalten.
Der mittlerweile aus zahlreichen Baureihen bekannte Turbo-Vierzylinder des 428i verrichtet seinen Job auch an Bord des Gran Coupé unauffällig und souverän, kann akustisch aber nicht an die Qualitäten früherer Sechszylinder-Motoren anknüpfen. Gerade bei niedrigen Drehzahlen bietet die 245 PS starke N20-Variante allerdings deutlich mehr Kraft als die Saugmotoren früherer Tage, auch mit der Achtgang-Automatik harmoniert diese Charakteristik ausgezeichnet. Zwar kann man mit Hilfe der Schaltwippen jederzeit mühelos in die Gangwahl eingreifen, einen Anlass dazu gibt es aber so gut wie nie.
Unterm Strich stellt BMW mit dem 4er Gran Coupé ein Gesamtpaket auf die Räder, das nicht nur viele neue Kunden ansprechen dürfte, sondern auch so manchen typischen 3er-Fahrer zum 4er-Kunden machen könnte. Seine für viele Anwendungsfälle nicht relevanten Nachteile gegenüber der Limousine, die attraktivere Optik und der besser nutzbare Kofferraum dürften auch bei den Verkaufszahlen dafür sorgen, dass dieser 4er kein Nischenmodell im eigentlichen Sinne bleibt und stattdessen zu einem der wichtigsten Mittelklasse-Modelle von BMW aufsteigt.
Hinzu kommt das Potenzial, typische Kunden eines zweitürigen BMW 4er Coupé mit den Vorzügen der hinteren Türen für das Gran Coupé zu begeistern. Wenn diese Faktoren schließlich dazu führen, dass der BMW 4er Viertürer genau wie das 6er Gran Coupé für einen Anteil von rund 60 Prozent innerhalb der 4er-Reihe steht, dürfte zumindest in München niemand überrascht sein.