Die fünfte Generation des BMW M3 (F80) und das technisch ähnliche BMW M4 Coupé F82 sind nicht nur im Vergleich mit ihren engsten Wettbewerbern sehr leicht, auch die Differenz zum weniger sportlich positionierten AG-Modell mit Reihensechszylinder fällt bemerkenswert gering aus. Wie es zum Gesamtgewicht von 1497 Kilogramm laut DIN-Norm für ein BMW M4 Coupé mit manuellem Getriebe kommt und welche Elemente dazu beitragen, klärt Florian Staiger im Gespräch mit M-Power.com.
Wir nutzen die Gelegenheit gleich, um noch einige Detail-Fotos von einigen der angesprochenen Elemente zu veröffentlichen und so in gewisser Weise einen Blick unter die Hülle der neuen Mittelklasse-Sportler zu ermöglichen.
Normalerweise ist das Topmodell der Baureihe leichter als das daraus abgeleitete M Automobil. Woran liegt das?
In der Historie wog das M Automobil etwa 100 kg mehr als das BMW-Basisfahrzeug. Bereits bei der ersten Generation des BMW M3 verbauten wir einen anderen Motor, einen stärkeren Antriebsstrang, modifizierte Achsen, verstärkte Bauteile, ein modifiziertes Hinterachsgetriebe, größer dimensionierte Bremsen etc. Diese Teile manifestieren sich dann in entsprechendem Mehrgewicht.
Aber wir begannen bereits in dieser Generation Leichtbau zu betreiben. Ein Beispiel sind die Aluminium-Querlenker beim BMW M3 EVO sowie Türen aus Aluminium beim BMW M3 Coupé E36 TÜ.
Die Leichtbauaktivitäten wurden dann mit jeder Generation des BMW M3 ausgebaut?
Ja. Jede Generation des BMW M3 erhielt zusätzliche Leichtbaukomponenten.
Intensiv eingestiegen sind wir ins Thema mit dem BMW M3 CSL. Erstmals wurde hier z. B. ein Dach aus carbonfaserverstärktem Kunststoff – abgekürzt CFK – integriert und besonders leichte Fahrwerksteile entwickelt wie beispielsweise der Vorderachsrohrstabilisator.
Auch bei der jetzt abgelösten Generation des BMW M3 findet sich Leichtbau. Die bereits eingeführten Bauteile – wie z. B. das CFK-Dach – wurden ebenfalls in diesem M Automobil realisiert und durch weitere Teile ergänzt, wie z. B. durch eine Frontklappe aus Aluminium und vordere Seitenwände aus Kunststoff. So wurde das Leichtbauportfolio erweitert. Ziel war also stets, Bauteile durch besondere Gestaltung leichter zu machen, als sie beim BMW-Basismodell verbaut sind. Bei der eben ausgelaufenen Generation des BMW M3 lagen wir aber immer noch etwa 60 kg über dem Gewicht eines BMW 335i. Man muss bei Gewichtsvergleichen grundsätzlich allerdings immer etwas vorsichtig sein und die Ausstattungen der jeweiligen Fahrzeuge berücksichtigen.
Natürlich bleibt es dabei, dass wir aus Performance-Gründen auch Baugruppen verbauen müssen, die schwerer sind als die entsprechenden Teile des BMW-Basisfahrzeugs. Ein Hinterachsgetriebe mit geregelter Sperre und Leistungsauslegung auf BMW M4 Niveau ist einfach schwerer als ein Hinterachsgetriebe eines BMW 435i ohne Sperre.
Beim neuen BMW M3 und BMW M4 sind wir dann in Richtung Leichtbau noch einmal erheblich weitergegangen als je zuvor. Zu den bekannten Teilen sind nun Baugruppen wie die CFK-Gelenkwelle, die CFK-Präzisionsstrebe im Motorraum, der Carbonfaser-SMC-Heckdeckel usw. hinzugekommen. All die realisierten Leichtbaumaßnahmen sparen über 100 kg Gewicht. Damit gleichen wir die o.g. Gewichtsmehrungen mehr als aus.
Dies zeigt sich z. B. auch im Vergleich zum handgeschalteten BMW M3 Coupé der Vorgängergeneration: ein BMW M4 Coupé weist einen Gewichtsvorteil von 83 kg auf.
Es ist von einem „intelligenten Leichtbaukonzept“ die Rede – warum „intelligent“?
Hier gibt es verschiedene Faktoren. Will man ein Fahrzeug durch weniger Gewicht verbessern, stellt sich die Frage: Wo und wie erreicht man das am meisten? Auf der Waage mag es egal sein, wo am Fahrzeug z. B. 5 kg eingespart wurden – aus Sicht der Fahrdynamik keinesfalls.
Geht es um reine bewegte Massen bei einem heckgetriebenen Fahrzeug, heißt die Antwort klar: Gewicht möglichst weit oben und möglichst weit vorne am Fahrzeug reduzieren. So wird wunschgemäß der Hinterachslastanteil und das Fahrdynamikpotenzial erhöht, weil der Schwerpunkt des Fahrzeuges nach hinten und unten verschoben wird.
Beim neuen BMW M3 und BMW M4 verbauen wir eine Frontklappe und Seitenwände aus Alu. Die Achsträger sind vorne wie hinten gewichtsoptimiert, aber vorne noch aufwändiger in Aluminium ausgeführt während wir hinten Stahl einsetzen – hier stünde für eine Alu-Konstruktion auch gar nicht genügend Bauraum zur Verfügung.
Warum dann der C-SMC-Heckdeckel beim BMW M4 Coupé?
Das Coupé hätte aus aerodynamischen Gründen – im Gegensatz zu Limousine und Cabrio – einen großen Spoiler am Heck benötigt, so dass wir uns aus Design-Gründen für eine spezielle Heckklappe entschieden haben.
Wenn wir das Bauteil schon neu gestalten, dann selbstverständlich so leicht wie möglich in einer sehr eigenständigen, kraftvollen Formensprache.
Was wäre der zweite Faktor, der das Leichtbaukonzept „intelligent“ macht?
Die Frage, ob die eingesparte Masse „nur“ eine beschleunigte ist oder vielleicht sogar eine ungefederte und/oder rotierende.
Optimal ist aus dieser Sicht die Reduktion des Gewichts einer Bremsscheibe und eines Rades, beide stellen beschleunigte, ungefederte und rotierende Massen dar.
Warum ist aus fahrdynamischer Sicht die Reduktion einer ungefederten Masse besonders interessant?
Durchfahre ich z. B. eine Bodenwelle, ergeben sich dynamische Radlastschwankungen, die sich negativ auf die Traktion auswirken. Kleine ungefederte Massen wie Bremsen, Mitnehmerflanschnaben, Felgen etc. sind eine wichtige Grundlage, damit die Federung/Dämpfung für möglichst geringe Radlastschwankungen sorgen kann.
Wieso wirken sich Radlastschwankungen negativ auf die Traktion aus?
Beim Ausfedern des Rades in die Bodenwelle sinkt die Radlast. Das Rad kann deshalb in diesem Augenblick über seine etwa postkartengroßen Aufstandsfläche weniger Längs- und/oder Seitenkräfte übertragen – die Traktion kann abreißen, falls man gerade im längs- oder querdynamischen Grenzbereich unterwegs ist. Je geringer also die Radlastschwankungen sind, desto ruhiger und kontrollierbarer und damit auch schneller kann das Fahrzeug bewegt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Dämpfung optimal auslegt und die ungefederten Massen reduziert werden.
Und die rotierenden Massen?
Die rotierenden Massen sind in zweierlei Hinsicht wichtig für das Beschleunigungsverhalten des Fahrzeugs. Einmal erhöhen sie natürlich ebenfalls die zu beschleunigende Gesamtmasse des Fahrzeugs. Darüber hinaus sollten sie ein möglichst geringes rotatorisches Massenträgheitsmoment haben. Dadurch wird möglichst wenig Leistung verschwendet, wenn der Antriebsstrang bis hin zu den Rädern in Rotation versetzt wird. Dies sorgt für ein agiles Ansprechen des Fahrzeuges.
Was versteht man unter Massenträgheitsmoment?
Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit einer Handkurbel ein großes Wagenrad beschleunigen. Wie viel Energie Sie zur Beschleunigung des Rades benötigen, hängt nicht nur von der Masse des Rades ab, sondern auch an deren Verteilung. Konzentriert sie sich eher in der Mitte, ist das Rad leichter zu beschleunigen, als wäre die Masse überwiegend am Rand des Rades verteilt.
Dass in die reine Drehbeschleunigung des Rades Energie fließt, sieht man z. B. auch beim Bowling. Zunächst gleitet die Kugel beim Aufsetzen. Wenn sie dann zu rotieren beginnt, verliert sie an Geschwindigkeit, während gleichzeitig die Rotationsgeschwindigkeit steigt, bis sie schließlich mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über den Boden rollt.
Neben dem Massenträgheitsmoment bestimmt auch der Drehzahlgradient – also in welchem Maße sich die Drehzahl ändert – die notwendige Leistung für die Beschleunigung. Deshalb ist die Reduktion der rotierenden Massen im Motor besonders interessant, weil hier große Drehzahlunterschiede in kurzer Zeit realisiert werden.
Gibt es noch einen dritten Faktor im Rahmen eines „intelligenten“ Leichtbaukonzeptes?
Ja, die Auswahl des Materials. Je nach Rahmenbedingungen kann der Einsatz von CFK, Aluminium, Magnesium, Titan oder Stahl sinnvoll sein. Beispielsweise bringt der Einsatz von kohlefaserverstärkten Kunststoffen in der CFK-Präzisionstrebe mehrere Vorteile mit sich. Das sehr teure Bauteil wiegt mit ca. 1,5 kg nur einen Bruchteil der Ausführung aus Stahl. Dabei ist es besonders kompakt und findet so den benötigten Platz im Motorraum. Eine Aluminiumstrebe hätte bei gleicher Steifigkeit einen deutlich größeren Querschnitt und würde mit der Frontklappe kollidieren. Der neue BMW M3 und BMW M4 erhielten eine Vielzahl von Maßnahmen zur Erhöhung der Karosseriesteifigkeit im Dienst der M typischen Fahrpräzision und Fahrdynamik.
Geht es dabei um die oftmals angesprochene Torsionssteifigkeit?
Die Torsionssteifigkeit, die wir im Vergleich zur Vorgängergeneration um etwa 20 % steigern konnten, ist gewiss relevant. Aus Sicht der präzisen Radführung ist sie aber nicht der entscheidende Faktor, wenn man bedenkt, dass gegengleiche Ein- und Ausfederbewegungen der Räder an der Vorder- und Hinterachse auch eine Art Verwindung bzw. Torsion darstellen, welche die reine Karosserietorsion bei weitem übertreffen.
Torsionssteifigkeit erleichtert jedoch die Abstimmung des Fahrwerkes – das ist beim Rennsport besonders wichtig, da hier ja für jedes Rennen neu abgestimmt werden muss. Und sie erhöht die Solidität der Karosserie, ein wichtiger Aspekt, um z. B. Knarzgeräusche im Innenraum zu verhindern.
Den entscheidenden Vorteil für Fahrdynamik und Präzision bringt jedoch die Quersteifigkeit. Das Auto soll sich also, von oben gesehen, möglichst wenig seitlich, „bananenförmig“ durchbiegen.
Warum ist das in besonderem Maße unerwünscht?
Die Räder führen dabei ungewollte Lenkbewegungen aus, das Fahrzeug fährt nicht mehr sauber in die eigentlich gewünschte Richtung.
Die M typischen großen Räder mit hohem Grip-Potenzial müssen exakt auf der Straße geführt werden. Dazu brauchen wir eine sauber ausgelegte, sportlich definierte Kinematik plus eine Elastokinematik, die möglichst viel Quersteifigkeit bietet.
Insgesamt konnten wir beim BMW M3 und BMW M4 die Karosserie-Quersteifigkeit um ca. 30 % zum hohen Niveau des Vorgängers steigern.
Interessanterweise helfen diese Maßnahmen nicht nur, wenn man mit Topspeed durch die Fuchsröhre der Nürburgring-Nordschleife fährt. Erhebliche Vorteile zeigen sich gerade auch im Bereich vergleichsweise niedriger Lasten, also beispielsweise beim Durchfahren schneller Autobahnkurven mit geringen Lenkbewegungen. Deshalb ist es so wichtig, dass die saubere Führung des Rades durch eine stabile Karosserie mit hoher Quersteifigkeit sichergestellt wird. Hiervon werden der Geradeauslauf und die Spurtreue erheblich beeinflusst – das Fahrzeug wirkt so deutlich souveräner und präziser. Es fährt genau dahin, wohin man es haben will.
Macht das die prägende Eigenschaft „Präzision“ eines M Automobils aus?
Ja, das ist ein wichtiger Teil davon. Wenn man am Lenkrad dreht, aufs Gaspedal drückt oder bremst, bedeutet das ja, dass am Ende die Kontaktfläche Reifen – Fahrbahn beeinflusst wird. Sie wird gedreht, mit Bremsen oder Beschleunigen beaufschlagt.
Auf dem Weg von der Fahrerhand und dem Fahrerfuß bis in die Kontaktfläche Auto – Fahrbahn passiert sehr viel in mechanischer Hinsicht. Motor und Antriebsstrang, Fahrwerk, Lenkgetriebe, Lager, Felgen, Reifen etc. müssen den Fahrerwunsch exakt übertragen, damit das Fahrzeug definierte Reaktionen zeigt.
Das ist dem Fahrer meist weder bewusst, noch interessieren ihn diese Abläufe im Detail. Was er aber spürt: Auf meinen Lenkbefehl reagiert das Fahrzeug so präzise wie gewünscht. Gebe ich mehr Gas, wird das Fahrzeug unmittelbar schneller. Je mehr also die Erwartung und die tatsächliche Reaktion zusammenpassen, desto mehr hat der Fahrer Vertrauen zum Auto und wächst ins Auto rein.
Es ist gerade so, als würde man eins mit dem BMW M3 oder BMW M4 – man wird sich reinsetzen, wohlfühlen, das Auto und die Straße spüren und dann z. B. auf der Rennstrecke sehr schnell unterwegs sein. Das hat einen BMW M3 schon immer ausgezeichnet. Und es prägt in besonderem Maße den neuen BMW M3 und BMW M4.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Staiger.