Im Rahmen des Media-Launch der neuen BMW 5er Limousine in Portugal hatten wir auch Gelegenheit, mit Jos van As zu sprechen und konnten ihm einige Fragen zum Fahrwerk der Limousine stellen. Jos van As ist verantwortlich für die Abstimmung des Fahrwerks und insofern genau der richtige Ansprechpartner für Themen wie die aktive Hinterachskinematik oder die Frage der RunFlat-Reifen, die viele Leser unseres Blogs immer wieder beschäftigen.
Ohne lange Vorrede starten wir nun aber direkt ins Interview, das hoffentlich für die meisten Leser noch Neuigkeiten bereithält.
BimmerToday.de: Beim neuen BMW 5er wurde das Thema aktive Hinterachskinematik wieder aufgenommen, das es vor einigen Jahren schon beim BMW 850CSi gab. Warum gab es diese lange Pause, in der ein solches System nicht angeboten wurde?
Jos van As: Anfang der 90er Jahre war das Thema Hinterachslenkung sehr stark auf das Thema Stabilität fokussiert und diente vor allem der Steigerung der aktiven Sicherheit. Und es war genau das Zeitalter, als die ESP-Systeme entstanden sind. Durch Systeme wie DSC war das Thema Stabilität aber erst einmal erledigt, weshalb die aktive Hinterachskinematik weniger interessant wurde. In den folgenden Jahren wurden die Autos wieder größer, man wollte aber keine Verluste bei der Wendigkeit in Kauf nehmen. Beim heutigen 5er können wir die Hinterräder sowohl gegen als auch mit der Lenkrichtung der Vorderräder bewegen, was in den 90er Jahren nicht zur Verfügung stand. Damals hatten wir eine ganz andere Aktuatorik mit elektrohydraulischer Steuerung der Hinterachslenkung, diese erfolgt heute elektromechanisch. Wir haben ungefähr 2003 mit der Entwicklung der aktiven Hinterachslenkung begonnen, allerdings nun in Kombination mit der variablen Vorderachslenkung.
BimmerToday.de: Wie genau funktioniert das heutige System?
Jos van As: Das System bringt in zwei Geschwindigkeitsbereichen zusätzlichen Kundennutzen: Bei niedriger Geschwindigkeit wie beispielsweise im Parkhaus, beim Wenden oder bei Spitzkehren im Gebirge haben Sie ein Auto, das sich wesentlich kleiner anfühlt als es tatsächlich ist. Dabei werden die Räder entgegen der Vorderräder eingeschlagen, was für zusätzliche Agilität sorgt. Dazu kommt der nach wie vor vorhandene Kundennutzen bei höheren Geschwindigkeiten, wo das System für zusätzliche Stabilität sorgt. Hier werden die Hinterräder in derselben Richtung wie die Vorderräder eingeschlagen, womit ein längerer Radstand simuliert werden kann. Was noch dazukommt ist die Weiterentwicklung der Aktivlenkung, die wir beim Vorgänger (E60) eingeführt haben. Dort war das System nur auf die Vorderachse begrenzt, nun haben wir es bewusst mit der Hinterachslenkung kombiniert. Wir bieten die Aktivlenkung für die Vorderachse nun auch nicht separat an, sondern sie ist nur als komplettes System mit der aktiven Hinterachskinematik bestellbar.
BimmerToday.de: Gibt es beim System des 5ers technische Unterschiede gegenüber der aktiven Hinterachskinematik, die beim BMW 7er verbaut wird?
Jos van As: Ja. Ein wesentlicher Unterschied ist an der Vorderachse, denn wir nutzen an der Vorderachse eine elektromechanische Lenkung, während im 7er eine hydrauliche Lenkung zum Einsatz kommt. Die Hinterachslenkung selbst ist in beiden Fällen elektromechanisch.
BimmerToday.de: Warum wird beim 5er eine andere Lenkung der Vorderachse verbaut?
Jos van As: Das ist im Zusammenhang mit den CO2-Maßnahmen zu sehen, da wollten auch wir als Fahrwerksabteilung unseren Beitrag leisten, um die CO2-Bilanz zu verbessern. Mit der Elektrolenkung leisten wir da einen signifikanten Beitrag von etwa vier Gramm weniger CO2-Ausstoß. Da wir normalerweise eine Elektrolenkung beim 5er F10 verbauen, sollte auch die Aktivlenkung elektrisch angetrieben sein und das ist eines der Highlights bei diesem Fahrzeug.
BimmerToday.de: Das adaptive Fahrwerk mit elektronischer Verstellmöglichkeit kennen wir schon von mehreren Fahrzeugen. Hier scheint es gegenüber früheren Systemen große Verbesserungen gegeben zu haben, denn beim 5er kann man beinahe von zwei verschiedenen Fahrzeugen sprechen, wenn sich die Systeme in den Modi Comfort oder Sport+ befinden.
Jos van As: Ja, das liegt schwerpunktmäßig daran, dass die Dämpfer an sich von ihrer Performance deutlich besser geworden sind. Die maximale Spreizung ist deutlich vergrößert worden und damit kann man auch entsprechend größere Unterschiede darstellen. Eine andere Sache ist die, dass wir mit diesem Fahrwerk in der Lage sind, kontinuierlich und situationsgerecht zu dämpfen. Früher mussten wir zwischen diskreten Kennlinien wählen, womit man zwar Unterschiede darstellen, aber nicht für jede Situation die optimale Dämpfung anbieten konnte.
BimmerToday.de: Wir wissen, dass diese Systeme heutzutage sehr schnell arbeiten können. Beim Rolls Royce Ghost war davon die Rede, dass ein vom Vorderrad durchfahrenes Schlagloch bereits zu Änderungen am Setup geführt hat, bevor das Hinterrad dieselbe Stelle passiert. Mir stellt sich die Frage, inwiefern die Nachteile eines sehr komfortabel abgestimmten Fahrwerks bezüglich Fahrsicherheit und Fahrdynamik ausgeglichen werden können, wenn beispielsweise ein DSC-Eingriff nötig ist, der eine straffere Fahrwerksabstimmung sinnvoll erscheinen lässt. Findet in so einer Situation auch eine Änderung beim Fahrwerk statt, um hier noch unterstützend einzugreifen?
Jos van As: Das funktioniert andersrum: Sie fahren nicht grundsätzlich immer weich, sondern in dem Moment, wo Sie lenken oder bremsen wird automatisch die Dämpfung angepasst und darüberhinaus werden die elektronischen Stabilitätssysteme aktiviert.
BimmerToday.de: Das heißt, dass ich im Comfort-Modus zwar auf geraden Strecken deutlich mehr Komfort genieße, aber trotzdem habe ich bei Kurvenfahrt…
Jos van As: …oder bei Ausweichmanövern sofort eine angepasste Dämpfung, die wieder in den ursprünglichen Modus zurückgeht, wenn sich die Situation beruhigt hat. Der Fokus liegt hier natürlich auf einem optimalen Kundennutzen: Nur so hart wie nötig, dabei aber so weich und komfortabel wie möglich.
BimmerToday.de: Sicherlich gibt es bei BMW Studien bezüglich der Vorgängergeneration, in denen das Kundenfeedback ausgewertet wurde. Kann man sagen, ob sich die Kunden eher mehr Komfort oder eher mehr Sportlichkeit von ihrem Fahrzeug gewünscht haben?
Jos van As: Das war eher mehr Komfort. Beim Vorgängermodell hatten wir schon ein Sportfahrwerk, das auch mit der aktiven Rollstabilisierung kombiniert werden konnte, was beispielsweise in den USA eine sehr beliebte Kombination war. Für diese sportliche Zielgruppe hatten wir bisher aber keine adaptive Dämpfung angeboten, was nun beim neuen 5er der Fall ist.
BimmerToday.de: Beim Thema Fahrkomfort sind auch die RunFlat-Reifen immer wieder ein Thema. Viele Menschen vertreten die Meinung, dass diese Reifen sich sehr negativ auf den Komfort auswirken. Wie sieht der Fachmann diese Diskussion?
Jos van As: Am Anfang hatten die RunFlat-Reifen sicherlich einen gewissen Nachteil, durch die mittlerweile erfolgte Weiterentwicklung sind die RunFlats aber deutlich besser geworden. Wir haben schon mehrere interne Blindversuche gemacht, sowohl mit Leuten, die sich auf dem Gebiet auskennen als auch mit normalen Kunden und da kommt in der Regel ein Verhältnis von 50/50 raus. Das heißt, der normale Kunde wird sich verdammt schwer tun, den Unterschied bei den heutigen Reifen zu merken. Das zeigt natürlich, wie erfolgreich die Weiterentwicklung der RunFlat-Reifen durch die Reifenhersteller in den letzten Jahren war und dass wir mittlerweile einen sehr guten Level erreicht haben. Das war natürlich eine Frage der Zeit und mit den mittlerweile gemachten Erfahrungen kann sich das Ergebnis sehr gut sehen lassen.
BimmerToday.de: Kann man dann davon ausgehen, dass eventuell auch die M GmbH eines Tages auf RunFlat-Reifen umschwenkt, während man dort bisher konsequent gegen RunFlat-Reifen ist?
Jos van As: Das ist ein bisschen eine Philosophie-Frage und es hängt auch sehr stark davon ab, wie Sie ein Auto positionieren. Es gibt Aspekte, die es für ein M Fahrzeug sinnvoll machen, auf Non-RunFlat-Reifen zu bestehen: Das liegt zum Einen an den gefahrenen Reifenquerschnitten und zum Anderen an dem sehr ausgeprägten Wunsch, mit möglichst geringen ungefederten Massen unterwegs zu sein, weshalb die Reifenperformance bei M Fahrzeugen sehr stark im Vordergrund steht.
BimmerToday.de: Aber für den normalen 5er-Kunden macht es Ihrer Meinung nach keinen Unterschied?
Jos van As: Nein, abgesehen vom Sicherheitsgewinn natürlich. Dieser wird von den Kunden auch geschätzt und wir wissen auch aus der 1er- und 3er-Reihe, wo die RunFlat-Reifen nicht mehr bei allen Modellen serienmäßig angeboten werden, dass die Kunden an einer Sonderausstattung RunFlat-Reifen sehr interessiert sind und diese auch häufig mitbestellen. Die Akzeptanz im Markt ist also absolut gegeben. Es gibt auch Märkte, auf denen Sie mit Non-RunFlat-Reifen garnicht mehr ankommen müssen, zum Beispiel China und die USA. Das sind Märkte mit einerseits hohem Sicherheitsbedürfnis und andererseits sehr hohem Komfortanspruch: Der chinesische Kunde steigt nicht aus dem Auto aus, wenn er einen platten Reifen hat, er fährt zur Werkstatt. Für solche Märkte bietet ein RunFlat-Reifen einfach Vorteile.
BimmerToday.de: Auch beim BMW 5er F10 werden wir wieder den Allradantrieb xDrive sehen, den es schon bei der Vorgängergeneration E60 gab. Wie hoch war damals der Anteil von xDrive an den Gesamtbestellungen, wie gut hat der Markt dieses Angebot angenommen?
Jos van As: Das müssen Sie von Markt zu Markt betrachten. In den USA lag das in der Größenordnung von 50 Prozent, auch in Kanada sowie in der Schweiz und Österreich ist Allradantrieb sehr wichtig. Auf diesen Märkten haben wir also einen sehr hohen xDrive-Anteil, auf anderen Märkten ist es weniger wichtig.
BimmerToday.de: Vor kurzem sind Bilder aufgetaucht, die den BMW 5er GT (F07) mit xDrive gezeigt haben, der im 4. Quartal 2010 auf den Markt kommen soll. Ich nehme an, dass sich die Systeme in F07 und F10 nicht unterscheiden werden?
Jos van As: Davon ist auszugehen. Wie beim BMW 7er legen wir auch beim X1 und beim 5er GT großen Wert auf ein neutrales Fahrverhalten, das ist also schon die Richtung, wie wir uns das für die Zukunft vorstellen.
BimmerToday.de: Also können wir mittlerweile davon ausgehen, dass beispielsweise ein BMW X1 mit Allradantrieb trotz seines Mehrgewichts dynamischer ist als ein X1 mit Heckantrieb?
Jos van As: Das würde ich so nicht sagen, denn das hängt davon ab, wie Sie Dynamik definieren. Wenn Sie Dynamik gleichstellen mit Traktion und Vorwärtskommen unter widrigen Bedingungen, dann bietet der X1 mit xDrive bei ungünstigen Straßenverhältnissen durchaus mehr Dynamik und Stabilität gegenüber einem X1 mit Standardantrieb.
BimmerToday.de: Beim X1 ist an der Hinterachse ein ähnliches System verbaut wie beim X6, allerdings elektronisch geregelt…
Jos van As: Nein, das stimmt nicht ganz, das wäre ein bisschen übertrieben. Beim X6 haben wir wirklich ein aktives Differenzial, das Momente sowohl in Schub- als auch in Zugphasen bedarfsgerecht steuert. Beim X1 beeinflussen wir das Einlenkverhalten durch selektive Bremseingriffe in Kombination mit Momentenanhebung am anderen Rad.
BimmerToday.de: Dieses System ist sicherlich weniger effektiv, andererseits aber preiswerter zu bauen?
Jos van As: Ja, Sie können beim X1 keine Momente aktiv von links nach rechts transferieren, Sie können das Fahrzeug also nicht bewusst untersteuern oder übersteuern lassen, aber Sie können in Nuancen die Richtung angeben, in die sich das Auto dann bewegen soll.
BimmerToday.de: Wären vergleichbare Systeme nicht auch für reine Hecktriebler interessant?
Jos van As: Wir haben bereits seit einigen Jahren bei der 1er- und 3er-Reihe eine elektronische Differenzialsperrfunktion. Diese beeinflust zwar nicht direkt das Einlenkverhalten, aber es beeinflusst sehr wohl das Übergangsverhalten vom Auto und verbessert dabei die Traktion. Das ist eine Funktion, die von einigen Kunden sehr geschätzt wird.
BimmerToday.de: Aber ein mechanisches System wie beim X6 wäre doch sicherlich auch in diesem Fall noch effektiver?
Jos van As: Es hat natürlich mehr Potenzial, aber Sie müssen auch die Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen und dann muss man auch betrachten, dass der X6 ein Auto ist, das von Gewicht und Massenträgheit her in einer ganz anderen Liga als der X1 spielt. Bei einem X6 ist folglich auch eher der Bedarf da, das Auto agiler wirken zu lassen und in dieser Hinsicht etwas nachzuhelfen.
BimmerToday.de: Herr van As, wir danken Ihnen für das informative Gespräch!