Bereits seit einigen Monaten kann man in München in direkter Nähe des Forschungs- und Innovationszentrums FIZ das neue Aerodynamische Versuchszentrum (AVZ) der BMW Group bestaunen.
Doch nicht nur von außen macht das AVZ eine gute Figur, auch die Technik im Inneren kann sich mehr als nur sehen lassen.
Eine derart große Investition passt gut in das Bild des nach unabhängigen Studien nachhaltigsten Automobilherstellers der Welt. Denn im AVZ werden schon heute Dinge erforscht, die in der Zukunft den Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen der BMW Group senken werden.
Die Inbetriebnahme des AVZ stellt somit auch einen erheblichen Kompetenzgewinn dar, denn wie wir noch sehen werden, bieten sich in diesem neuen Versuchszentrum ganz neue Möglichkeiten für BMW.
Kernstück des AVZ sind zwei Windkanäle, in denen zeitgleich verschiedene Messungen durchgeführt werden können.
Die Aerodynamik spielt für den Verbrauchswert nämlich eine durchaus wichtige Rolle. Senkt man den Luftwiderstand um 10 Prozent, so resultieren daraus mehr als 2,5 Prozent weniger Verbrauch.
Auch wenn dieser Effizienzgewinn auf den ersten Blick niedrig erscheint, passt er genau in die Strategie von BMW Efficient Dynamics: Viele kleine Maßnahmen ergeben gebündelt einen massiv gesenkten Verbrauch.
Außerdem muss man beachten, dass sich diese 2,5% auf den EU-Normverbrauch beziehen. Fährt man 200 km/h auf der Autobahn, wird der aus einem guten cW-Wert resultierende Gewinn deutlich größer, auch wenn das im EU-Normzyklus keine Beachtung findet.
Auch die Integration in den Komplex des Forschungs- und Innovationszentrums lässt erkennen, dass die aerodynamische Entwicklung von nun an noch stärker in den Gesamtprozess der Fahrzeugentwicklung integriert werden soll.
Dadurch können die verschiedenen – und teilweise konkurrierenden – Anforderungen von Designern, Aerodynamikern, Konstrukteuren, Motorenentwicklern und anderen Spezialisten schon früh in der Entwicklungsphase aufeinander abgestimmt werden.
Besonders wichtig ist aber auch, dass der Windkanal die Gegebenheiten der Straße möglichst realistisch darstellen kann. Denn es macht im Windkanal große Unterschiede, ob man das Fahrzeug auf einem Laufband rollen lässt oder ob es nur auf dem Fleck steht. Vor allem die Verwirbelungen an den Radhäusern und am Unterboden unterscheiden sich stark, wenn sich die Reifen tatsächlich drehen oder nur still stehen.
Auch Kurvenfahrten und sogar Überholmanöver können mit dem neuen Windkanal dargestellt werden und ermöglichen es den Entwicklern, die Aerodynamik für eine Vielzahl alltäglicher Situationen zu optimieren.
Besonders die Erkenntnisse aus der Interaktion von zwei hintereinander oder nebeneinander fahrenden Fahrzeugen können nun deutlich früher als bisher in die Entwicklung einfließen, weil man nicht mehr warten muss, bis man mit weitestgehend ungetarnten Fahrzeugen in der Öffentlichkeit fahren kann.
In der Anonymität des AVZ kann nun schon zu einem frühen Zeitpunkt der Fahrzeugentwicklung auf Probleme reagiert werden. Bisher war das erst möglich, wenn das Fahrzeug und die Formwerkzeuge für die Produktion bereits weitestgehend fertiggestellt war, was die Änderungsmöglichkeiten natürlich beschränkt hat.
Das AVZ ist unter anderem deswegen die weltweit modernste Einrichtung dieser Art im Automobilsektor. Im AVZ können sowohl Fahrzeuge in Originalgröße als auch in Form verkleinerter Modelle getestet werden.
Besonders wichtig ist dabei die aus fünf Laufbändern bestehende Simulation der Straßendecke, auf der Fahrzeuge bei Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h getestet werden können.
Bereits in der Außenansicht ist erkennbar, dass das AVZ zwei Strömungsringe kombiniert – einen horizontal aufgestellten und einen kleineren vertikalen.
Das AVZ beinhaltet also zwei vollständige Windkanäle und ermöglicht es der BMW Group somit, mehrere Versuche parallel durchzuführen. Der kleinere der beiden Kanäle ist für Fahrzeuge in kleineren Maßstäben ausgelegt, während im Größeren 1:1-Modelle “fahren” können.
Der Fortschritt in der Aerodynamik spiegelt sich nicht nur, aber auch im cW-Wert der Fahrzeuge wieder. Betrug dieser beim BMW 320i Cabrio von 1987 mit geschlossenem Dach noch 0,39, beträgt er beim aktuellen 320i Cabrio 0,27.
Die neuen Möglichkeiten des AVZ werden dazu beitragen, diese Entwicklung konsequent fortzusetzen und die cW-Werte weiter zu verbessern.
Neben dem cW-Wert können nun aber auch jene Faktoren besser berücksichtigt werden, die für Laien weniger gut evaluierbar sind. Dazu zählen beispielsweise eine optimale Zufuhr der Kühlluft zu Motor, Getriebe und Bremsen, aber auch das Reduzieren von Auftrieb für eine bessere Fahrstabilität.
Auch Details wie die Verschmutzung des Fahrzeugs in Folge von Verwirbelungen der Luft sowie eine weitere Minimierung der Windgeräusche bei hohen Geschwindigkeiten können nun noch besser bearbeitet werden.
In der heutigen Zeit stellt die praktische Arbeit im Windkanal aber nur einen Teil des Erkenntnisgewinns dar, mindestens genauso wichtig sind mittlerweile effektive Großrechner für die Strömungsberechnung.
Mit Hilfe dieser Technik lassen sich besonders schnell jene Bereiche des Fahrzeugs erkennen, die beispielsweise für unerwünschte Verwirbelungen verantwortlich sind.
Da derartige Berechnungen am Computer aber sehr zeitaufwändig sind, können sie die Arbeit im Windkanal keineswegs ersetzen. Außerdem zeigt nur die Praxis, ob die Berechnungen auch mit der Realität übereinstimmen.
Der große Windkanal des AVZ bietet dafür hervorragende Bedingungen. Der Luftstrom wird dabei von einem Gebläse mit acht Metern Durchmesser auf die gewünschte Geschwindigkeit beschleunigt um dann nach zweifacher Umlenkung auf das Fahrzeug zu treffen.
Wie man sieht, profitiert von der Aerodynamik nicht nur die Effizienz. Auch Fahrkomfort und Fahrsicherheit werden von einer guten Aerodynamik positiv beeinflusst.
Ein interessantes Projekt zur weiteren Reduzierung des Luftwiederstands hört auf den Namen Air Curtain. Der “Luft-Vorhang” soll sich in Zukunft gewissermaßen vor das Radhaus legen und so Verwirbelungen durch die rotierenden Räder reduzieren.
Die Weiterentwicklung dieser Technik ist nur dank der überaus realistischen Gegebenheiten im AVZ möglich. Nur dank der sich unter dem Fahrzeug bewegenden “Straße” werden die komplexen Wechselwirkungen der Luft unter und neben dem Fahrzeug korrekt dargestellt und können entsprechend in die Berechnungen und Messungen einfließen.
Die Entwicklung und der Bau des AVZ auf einer Fläche von 25.000m² haben rund 170 Millionen Euro gekostet. Die rund 500 in den Windkanälen der BMW Group beschäftigten Mitarbeiter können nun an einem Standort zusammenarbeiten, statt wie bisher auf fünf unterschiedliche Standorte verteilt. Davon erhofft man sich natürlich einen Zugewinn an Effizienz im Entwicklungsprozess.
Zum Abschluss noch ein paar beeindruckende Zahlen zu den beiden Windkanälen:
Die Eckdaten des Hauptwindkanals:
- 8 Meter Gebläsedurchmesser
- Gebläsedrehzahl 300 U/min
- Gebläseleistung 4,4 MW
- max. Windgeschwindigkeit 300 km/h
- Abmessungen der Messstrecke (L x B x H): 22 x 16 x 13 Meter
Die Eckdaten des Aerolabs:
- 6,3 Meter Gebläsedurchmesser
- Gebläsedrehzahl 400 U/min
- Gebläseleistung 3,8 MW
- max. Windgeschwindigkeit 300 km/h
- Abmessungen der Messstrecke (L x B x H): 20 x 14 x 11 Meter
(Quelle: BMW Pressemitteilung)