Sie werden gejagt, gehetzt und sind dabei begehrter als wilde Tiere. Die Prototypen der Autohersteller und deren Piloten führen ein Leben im Geheimen. Damit die Autos von übermorgen geheim bleiben, werden sie bis zur Unkenntlichkeit getarnt. Wir haben uns die hoch gesicherte Tarnwerkstatt bei BMW einmal angeschaut.
Prototypen haben etwas Geheimnisvolles, etwas Verborgenes, das keiner sehen darf. Wenn sie zwei bis drei Jahre vor Verkaufsstart auf die Straßen rollen, um hunderttausende von Testkilometern zurückzulegen, sind sie weitgehend ungeschützt. Schließlich kann nur ein Teil der Erprobungsfahrten auf gesicherten Testgeländen zurückgelegt werden. Im Straßenverkehr sind es Matten, Plastikverschalungen und Tarnfolien, die den Erlkönigjägern, wie die Prototypenfotografen genannt werden, den beruflichen Alltag so schwer als möglich machen sollen.
Wenn ein neues Auto auf den Markt kommt, geht es um dreistellige Millionenbeträge – wenn nicht mehr. Werden zu früh Details über das kommende Modell bekannt, kann sich die Konkurrenz vorbereiten, Gegenmaßnahmen treffen und der normale Autokäufer könnte das aktuelle Modell mit Missachtung strafen und auf den Nachfolger warten. Die Absätze blieben im Keller – Ertrag und Stimmung der Autohersteller, die ein neues Modell längst für Milliardenbeträge entwickeln müssen – ebenfalls. Der Aufwand, Informationen über ein neues Modell so lange wie möglich geheim zu halten, ist enorm – lohnt sich daher aber. Entsprechend professionell gehen die Autohersteller daher mit dem Thema Tarnen und Verschleiern um.
Dass die richtige Tarnung das A und O ist, steht in jedem Agentenhandbuch. Doch kaum anzunehmen, dass die Tarnabteilung im Hause BMW vor Jahren zunächst beim 15 Kilometer weiter südlich in Pullach gelegenen Bundesnachrichtendienst vorbeigeschaut hat, um sich Tipps und Tricks um das rechte Tarnen zu holen. Seit vielen Jahren werden Prototypen in der Öffentlichkeit getarnt; in den vergangenen 25 Jahren mit zunehmend größer werdenden Aufwand. BMW hat ebenso wie alle anderen Firmen daher eine eigene Tarnwerkstatt, die so geheim ist, wie die Werkstatt, in der 007-Agent James Bond sein Rüstzeug für den nächsten Auftrag bekommt. Und tatsächlich: als es durch die grüne Drehtür irgendwo in den seelenlosen Katakomben des BMW Forschungs- und Entwicklungszentrums im Münchner Norden geht, erinnert viel an das Labor, in dem Q seine Bastelarbeiten für den besten Geheimagenten ihrer Majestät erledigt.
Es ist hier so sauber wie in einem Operationssaal und helle LED-Scheinwerfer illuminieren die Arbeitsplätze rund um die zahlreichen Hebebühnen. Trotz der frühen Stunde von vor acht Uhr morgens wird an einigen Fahrzeugen bereits emsig gearbeitet. In dem ohnehin streng gesicherten Kellergeschoss gibt es einen separaten Teil, der durch ein separates Rolltor zu erreichen ist. „Fahrzeugtarnung“ steht über der bereits geöffneten Zufahrt und in dem großen Raum werkeln ebenfalls einige Techniker an einem an sich weiß lackierten Prototypen herum. Bei dem Modell handelt es sich unzweifelhaft um den neuen BMW 3er, derzeit eines der bestgehüteten Geheimnisse aus Bayern. Die Mittelklasselimousine als eines der Kernmodelle der Münchner Produktpalette rollt erst in der ersten Jahreshälfte 2019 auf den Markt. Die aktuelle Generation verkauft sich prächtig und so darf die kommende Generation bei den Testfahrten im öffentlichen Straßenverkehr weder in Sachen Design noch in Bezug auf Technik etwas preisgeben.
Bereits auf den ersten Blick lässt sich sagen: das dürfte gelingen, wenn auf dem Probanden sind nicht nur weiß-schwarze Tarnfolien aufgebracht, die an einen psychodelisch getünchten Duschvorhang erinnern. Gerade werden an der Schulter des Testwagens Verschalungen befestigt, die einer Verunstaltung gleichkommen. Auch die Verschalungen haben das gleiche, unansehnliche Muster, das vor zehn Jahren aus einer Diplomarbeit entstand und in den Jahren danach immer weiter verbessert wurde. Die Tarnfolie hat den einzigen Grund, dass Betrachter und Kameras möglichst wenige Fahrzeugdetails erkennen können. Wer hier länger hinschaut, dem schwinden die Sinne ähnlich wie allen, die im Dschungelbuch mit der Zeichentrick- Python namens Kaa zu tun hatten. Wie das Auto, hier der kommende 3er BMW, getarnt wird, das ist keinesfalls beliebig. Wie für fast alles im Hause BMW gibt es auch hier eine bunte Runde, die sich Tarnkreis nennt. Ein Plenum aus acht bis zehn Leuten aus Bereichen wie Entwicklung, Kommunikation und Design legt dabei fest, wie genau die streng geheimen Prototypen optisch verunstaltet werden sollen. Ziel ist es dabei nicht nur, das Auto so unkenntlich wie möglich machen. Schließlich sollen die Tarnungen die Erprobungen rund um Aerodynamik, Kühlung, Geräuschentwicklung oder Korrosion so wenig wie möglich einschränken.
Die Folien auf den Fahrzeugen aufzubringen ist eine Wissenschaft für sich. „Zwei Personen brauchen etwa einen Tag, um zu diesem frühen Zeitpunkt der Testfahrten die Maximaltarnung aufzubringen“, erklärt Markus Schwab aus dem Tarnbereich von BMW, „hierzu werden nicht nur Folien aufgebracht, sondern auch Schalen aufgeschraubt. Wenn es schneller gehen soll, arbeiten gleichzeitig vier oder fünf Personen an einem Auto.“ Gerade wird die Schulterlinie des an sich weißen BMW 3er Prototypens mit drei Millimeter dicken ABS-Kunststoffteilen verbastelt. „Pro Auto sind es rund 20 Elemente“, ergänzt Markus Schwab. Details wie Türgriffe, Außenspiegel und insbesondere die Leuchten werden dabei besonders liebevoll abklebt oder mit Modulen versehen, die gar nichts mit dem zukünftigen Modell zu tun haben. Jovica Petrovic hat gerade die hinteren Seitenscheiben mit einer Lochfolie abgedeckt und fitzelt gerade die Tarnfolie rund um den hinteren Türgriff. An der Wand vor dem Prototyp steht ein großes Regalsystem, in dem sich die einzelnen Techniker bei der Verplankung des Testwagens bedienen. „Die Kunststoffschalen machen den Wagen nur rund zehn Kilogramm schwerer und beeinträchtigen die Fahrtests nur minimal“, erklärt Markus Schwab weiter, „das ist den Entwicklern besonders wichtig.“
Doch mit dem Verkleiden von Türen, Hauben, Klappen und Griffen ist es längst nicht getan. „Natürlich muss auch der Innenraum getarnt werden“, ergänzt BMW-Ingenieur Thomas Nock, „der Innenraum wird komplett mit Matten abgedeckt, damit auch hier nichts zu erkennen ist.“ Auf den Erprobungsfahrten werden die schwarzen Matten größtenteils abgenommen, damit die Testingenieure auf ihren Entwicklungsfahrten wichtige Anzeigen und Bedienelemente nutzen können. Steht der Wagen irgendwo außerhalb der Werkstore oder Testgelände, wird der gesamte Innenraum mit Matten unkenntlich gemacht. „Doch es geht mittlerweile noch weiter“, ergänzt Thomas Nock, „mittlerweile wird das Auto bei einigen Modellen ja auch auf Displays im Innenraum oder dem Schlüssel gezeigt. Dies muss natürlich auch verdeckt werden, damit hier niemand etwas erkennen kann.“
Das Tarnteam hat heiße Wochen hinter sich. Alle der knapp 300 Testfahrzeuge durchliefen die Werkstatt des automobilen Q im geheimen FIZ-Keller, bevor es für sie hinaus in die weite Testwelt ging. Einige Modelle drehen derzeit schnelle Runden auf dem Nürburgring, während andere bei der Heißlanderprobung in Kalifornien, in der Kälte Lapplands oder auf dem BMW-Testgeländen in Miramas, Arjeplog oder Aschheim ihre Kilometer schrubben. In der Zeit bis zum Kommunikationsstart wird die Tarnung des jeweils neuen Modells in mehreren Schritten zurückgenommen, damit die Entwickler immer weniger Verfälschung der Fahrdaten haben. Doch noch ist vom neuen BMW 3er nicht viel zu erkennen – der Tarnwerkstatt sei Dank.
Text: Stefan Grundhoff; press-inform | Fotos: Günther Schmid